Brexit Streit über neues Verhältnis zwischen EU und Briten

Berlin · Die Europäische Union hat Übung im Umgang mit Partnern, die zwar vom großen Binnenmarkt profitieren, aber nicht zum Club dazugehören wollen. Norwegen ist dafür ein Beispiel, wenn es um das künftige Verhältnis der EU mit den Briten geht.

 Alexander Graf Lambsdorff (FDP) kritisiert Großbritannien nach dem Brexit.

Alexander Graf Lambsdorff (FDP) kritisiert Großbritannien nach dem Brexit.

Foto: dpa, abu pzi

Ob Norwegen als Blaupause für die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und dem Kontinent dienen kann, ist fraglich. Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson, der als möglicher neuer Premierminister gehandelt wird, meint, dies sei "absolut" möglich.

Allerdings sind die Beziehungen zwischen der EU und Norwegen — ähnlich wie das Verhältnis der EU-Staaten untereinander — von Rechten und Pflichten geprägt. So sind die Norweger Teil des europäischen Binnenmarkts und akzeptieren zugleich die Freizügigkeit. Sie sind sogar Schengenland, andere Europäer können also ohne Passkontrolle einreisen. In diesem Punkt sind sie als Nicht-EU-Mitglied enger an die Gemeinschaft gebunden, als es Großbritannien je war.

In einem Gastbeitrag im "Daily Telegraph" beruft sich Johnson auf den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der darauf hingewiesen habe, dass es den freien Handel mit Europa und den Zugang der Briten zum Binnenmarkt weiter geben werde. Was Johnson verschweigt ist, dass auch der BDI der Ansicht ist, Großbritannien könne nun nicht zur Rosinenpickerei übergehen. Doch genau das schwebt Johnson vor, wenn er meint, die einzige Veränderung für Großbritannien sei, dass man sich — wenn auch langsam — "aus dem außergewöhnlichen und undurchsichtigen System der EU-Gesetze befreien" werde.

In der EU herrscht jetzt schon Empörung über das Selbstbewusstsein der Brexit-Befürworter. "Johnson lebt in einer Fantasiewelt. Die Forderungen, die er für eine Beziehung zwischen der EU und Großbritannien für die Zeit nach dem Brexit aufstellt, haben mit der Realität nichts zu tun", sagte Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Vize-Präsident des Europäischen Parlaments, unserer Redaktion.

Ein tieferer Blick auf die Beziehungen zwischen Norwegen und der EU zeigen, was für Partner außerhalb der Gemeinschaft realistisch ist. Norwegen ist wie Island und Liechtenstein der EU über ein Abkommen zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verbunden. Viele EU-Regeln gelten auch in dem Wirtschaftsraum. Zudem macht Norwegen bei verschiedenen europäischen Programmen mit — vom Studentenaustausch Erasmus über die Teilnahme am europäischen Satelliten-Programm bis hin zur Mitarbeit bei der europäischen Polizeibehörde Europol.

Dafür überweisen die Norweger jährlich 450 Millionen Euro. Weitere 400 Millionen Euro zahlt Norwegen der EU im Rahmen des EWR-Abkommens zur Angleichung der Lebensverhältnisse in den Mitgliedstaaten. Trotz dieser Zahlungen ist die Assoziation ein gutes Geschäft für die Norweger: 80 Prozent ihrer Exporte verkaufen sie in EU-Länder.

Die Brexit-Befürworter setzen darauf, dass die Anbindung Großbritanniens an die EU noch ähnlicher wird, wie es die von Norwegen aktuell ist — allerdings ohne Freizügigkeit und ohne europäische Vorschriften, die Norwegen ja akzeptiert.

(qua)
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