Washington Strauss-Kahn im Notquartier

Washington · Vor der Tür zum Edel-Appartement steht rund um die Uhr ein bewaffneter Wachmann. Eine elektronische Fessel trägt der Ex-IWF-Chef wegen Fluchtgefahr am Knöchel: ein Leben wie in einem goldenen Käfig und eine Notlösung. Indes geht die Debatte um seine Nachfolge weiter.

Gleich um die Ecke liegt die Wall Street, die New Yorker Börse mit ihrer imposanten Säulenfassade und Bullen und Bären, den Symbolen für Hausse und Baisse, in Bronze auf dem Kopfsteinpflaster. Vor der Federal Hall ein Denkmal des Staatsgründers George Washington. Nach Westen geht der Blick aufs filigrane Gemäuer der Trinity Church, einer der ältesten Kirchen der Stadt. Broadway Nr. 71 – mit dem Theaterviertel, für das der Straßenname als Synonym steht, hat die Adresse nichts zu tun.

Dominique Strauss-Kahn, der wegen Vergewaltigung angeklagte Ex-Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), wohnt mitten im Finanzbezirk, wenn auch unfreiwillig und wohl nur für wenige Tage. Am Freitagabend hatte man ihn von Rikers Island, der Gefängnisinsel im East River, ins Büroturm-Ambiente im Süden Manhattans gebracht. Dort unterhält die Sicherheitsfirma Stroz Friedberg, die das Regime seines Hausarrests organisiert, eine Wohnung. Sie liegt im Empire Building. Neoklassizistische Architektur, 21 Etagen, Marmor und Adler-Skulpturen, Dachgarten und private Sporthalle.

Drinnen muss rund um die Uhr mindestens ein bewaffneter Posten Wache stehen. Gut 200 000 Dollar muss "DSK" für seine vom Gericht angeordnete Bewachung zahlen. Bis zum Beginn des Prozesses könnten sechs Monate vergehen. Zudem würde die elektronische Fessel am Knöchel Strauss-Kahns sofort die Polizei alarmieren, sollte der frühere IWF-Direktor versuchen, die Flucht anzutreten. Verlassen darf er den goldenen Käfig nur, wenn er in einem Notfall einen Arzt aufsuchen muss. Erst später, nach dem Umzug in ein neues, auf längere Sicht angemietetes Domizil, darf er zu Gerichtsterminen fahren, zu Gesprächen in Anwaltskanzleien oder zum Gottesdienst in einer Synagoge. Broadway Nr. 71 ist eine Notlösung, ein reines Provisorium.

"Herr Strauss-Kahn ist Gast eines Pächters", ließ der Verwalter Ray Ratermann die Bewohner per E-Mail wissen. "Wir wurden nicht konsultiert, aber man hat uns versichert, dass er sich nur bis Anfang nächster Woche hier aufhalten wird." Verlegenheit spricht aus den Sätzen. Die Fotografen, die draußen auf den Augenblick lauern, in dem "DSK" sich vielleicht blicken lässt, gedenkt Ratermann durch verstärktes Personal abzuwehren. "Medienleute und Neugierige", teilt er in seinem Rundschreiben mit, "werden dieses Gebäude nicht betreten."

Wohin die hürdenreiche Wohnungssuche den jäh Gefallenen als Nächstes führt, ist offen. Ein kleines Drama am Freitag hat klargemacht, wie schwer sich die besseren Viertel New Yorks mit einem Gast namens Dominique Strauss-Kahn tun, allein des unvermeidlichen Rummels wegen. An der feinen Upper East Side, East 65th Street, in einem 40-stöckigen Hochhaus namens Bristol Plaza, war er nicht willkommen. Die Gemeinschaft der Wohneigentümer blockierte seinen Einzug, nachdem seine Frau Anne Sinclair dort bereits ein Appartement angemietet hatte, dem Vernehmen nach für 14 000 Dollar im Monat. Bis zum späten Nachmittag, trotz Nieselregens, drängelte sich ein Heer von Journalisten vor den Blumenrabatten des Bristol Plaza. Mitten auf der Straße eilends aufgestellte Metallgitter, um die Medienzone zu markieren. Überall Scheinwerfer, überall Mikrofone, Stoßstange an Stoßstange die Übertragungswagen der Fernsehsender mit ihren markanten Schüsseln. Reporter hätten sich trotz der livrierten Portiers am Eingang Zugang zu dem Haus verschafft, erzählt William Taylor, einer der Anwälte Strauss-Kahns. Auch eine Washingtoner Firma für PR-Beratung und Risikomanagement, wurde unterdessen bekannt, soll dem Franzosen zur Seite stehen. TD International war von dem Ex-Minister bereits angeheuert worden, als er 2007 sein Amt an der Spitze des IWF antrat. Zusätzlich zu seinem Verteidigerteam nimmt Strauss-Kahn offenbar auch die Dienste einer PR-Firma und einer Detektei in Anspruch.

Im Rennen um die IWF-Spitze wächst derweil die Unterstützung für Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde. Ihr britischer Kollege George Osborne bezeichnete sie als herausragende Kandidatin. Mexiko kündigte dagegen an, seinen Notenbank-Chef Agustín Carstens zu nominieren. Südafrika und Australien kritisierten scharf die traditionelle Besetzung des IWF-Chefpostens mit einem Europäer. Selbst die Schweiz deutete an, sie könnte einem europäischen Kandidaten die Unterstützung verweigern. Sein Land sei nicht von vornherein auf einen Europäer festgelegt, sagte der Schweizer Vertreter im IWF-Wahlgremium, Rene Weber.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort