Berlin Steinbrück im Wohnzimmer-Wahlkampf

Berlin · Der SPD-Kanzlerkandidat will mit Hausbesuchen bei interessierten Bürgern punkten. Schon der erste dieser Auftritte in Niedersachsen löst Spott beim politischen Gegner aus: Steinbrück kehrte ausgerechnet bei der Familie einer Genossin ein.

Jenseits von Straßenständen mit Kugelschreibern und Luftballons will die SPD im Wahlkampfjahr 2013 mit frischen Ideen punkten, um die Bürger von ihrer Politik zu überzeugen. Man wolle Anleihen am US-Wahlkampf nehmen und innovative Formate ausprobieren, heißt es dazu aus der Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus.

Eine Neuheit sind die sogenannten Wohnzimmer-Gespräche, in denen der als etwas sperrig geltende Kanzlerkandidat Peer Steinbrück persönlich mit den Wählern im kleinen Kreis ins Gespräch kommen soll. Das Konzept: Die SPD wirbt regional mit Anzeigen, dass Bürger den Kanzlerkandidaten und eigene Bekannte einladen dürfen. Aus den Bewerbern wird dann eine Familie ausgesucht. Die Parteizentrale erhofft sich ungefilterte Gespräche mit dem Kandidaten. Die Presse bleibt außen vor. Nur der Gastgeber sowie Freunde und Familie sind zugelassen.

Für das erste Treffen wählte die SPD-Zentrale die Familie Bebnowski aus dem niedersächsischen Edesbüttel, einem beschaulichen 100-Seelen-Ort (30 Häuser auf vier Straßen) zwischen Mittelland- und Elbe-Seiten-Kanal. Nur griffen sich die Genossen für Steinbrücks Besuch ausgerechnet die Familie heraus, bei der auch schon der damalige SPD-Generalsekretär Hubertus Heil 2009 im Bundestagswahlkampf zu Gast gewesen war. Und praktischerweise arbeitete die Tochter des Hauses, Marike Bebnowski, als studentische Hilfskraft für Heil.

Für die CDU im niedersächsischen Wahlkampf ist das ein gefundenes Fressen. Parteimitglieder und Sympathisanten feixen in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter über das Wohnzimmer, in dem sich die Spitzengenossen so gerne niederlassen. In Anspielung auf Steinbrücks Ankündigung vor dem Treffen, er werde auch Eierlikör trinken, wenn dieser ihm bei einer solchen Gelegenheit angeboten würde, amüsiert sich der politische Gegner nun über Steinbrücks "Eierlikör-Gate". Die CDU-Anhänger in Niedersachsen reihen den Fall in die Serie der Pleiten und Pannen ein, die bislang die Auftritte Steinbrücks begleiten. Gemeint sind vor allem die Debatten um seine Vortragshonorare und seine Äußerung zum aus seiner Sicht zu niedrigen Kanzlergehalt. Hinzu kommen weitere verbale Ausrutscher des Kandidaten wie der Hinweis, dass er niemals eine Weinflasche Pinot Grigio kaufe, die weniger als fünf Euro koste.

Zurück zu Eierlikör und Streuselkuchen: "Es war eine offene und konstruktive Diskussion, 90 Minuten lang. In dem kleinen Rahmen ist jeder zu Wort gekommen", sagte die Gastgeberin hinterher. Sogar Eierlikör habe sie extra für das Treffen mit Steinbrück gekauft.

Familienoberhaupt Thomas Mudra-Bebnowski brannte beim Wohnzimmer-Gipfel mit Steinbrück vor allem der schleppende Ausbau der DSL-Versorgung auf dem Land unter den Nägeln — ein dankbares und endlich einmal unverfängliches Thema für den angeschlagenen Kandidaten. Als Geschenk gab es Traubenzucker zur Stärkung für den Berliner Gast; dieser revanchierte sich mit reichlich mitgebrachtem Zucker- und Streuselkuchen, wie ein Reporter der "Gifhorner Rundschau" beobachtete.

Alles in allem also eine zumindest skurril wirkende Wohnzimmer-Show Steinbrücks, zu der sich Fragen aufdrängten: Hat der in Berlin bestens vernetzte stellvertretende Fraktionschef Hubertus Heil den Genossen im Willy-Brandt-Haus möglicherweise die Familie empfohlen, weil man in diesem SPD-freundlichen Umfeld nicht befürchten musste, dass hinterher irgendwelche Peinlichkeiten oder Missverständnisse verbreitet werden? Ist es nach den vielen Pannen und Debatten seit Steinbrücks Ausrufung zum Kanzlerkandidaten einfach zu riskant, ihn mit zufällig ausgewählten Bürgern zusammenzubringen? Müssen seine Gesprächspartner aus Sicht der SPD schlicht zuverlässig sein? Zumal das Wahlkampfteam um Steinbrück zwar die Termine publik macht, den Austausch der Gastgeber mit dem Kandidaten aber hinter zugezogenen Vorhängen stattfinden lassen möchte.

Hubertus Heil räumt ein, dass auch er bereits bei den Bebnowskis zu Besuch war. Zudem ist Marike im SPD-Ortsverein Braunschweig-Nordstadt aktiv. Der Vize-Fraktionschef der Sozialdemokraten im Bundestag bestreitet aber jeden Zusammenhang zwischen seinem und Steinbrücks Besuch bei den Bebnowskis. Die Familie sei nach öffentlichen Anzeigen aus 150 Bewerbern vom Willy-Brandt-Haus ausgesucht worden, betonte Heil. "Ich habe von der Bewerbung erst hinterher erfahren und mich für die Bebnowskis sehr gefreut", fügte er hinzu. Es sei ein "absoluter Zufall", dass die Familie für einen solchen Besuch ein zweites Mal ausgewählt worden sei.

Er selbst habe von Marike per SMS von der Entscheidung des Willy-Brandt-Hauses erfahren. "Die Bebnowskis sind keine SPD-Vorfeld-Organisation", beteuert Heil. Die Mutter Elisabeth sei Leiterin einer Berufsschule, Vater Thomas Mudra-Bebnowski habe ihn schon einmal in den Lions Club in Wolfsburg eingeladen.

Zum angekündigten Eierlikör-Trinken mit dem sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten seien die Familie und ihre Freunde übrigens nicht gekommen, berichtete Marike Bebnowski nach dem "Wohnzimmer-Gespräch" der Lokalpresse: Die Diskussionen mit Steinbrück seien so spannend gewesen, dass sie ganz vergessen habe, den Eierlikör auf den Tisch zu stellen.

(RP/jh-)
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