SPD sucht den Ausweg

Vom Aufschwung in Deutschland spürt die SPD nichts. Umfragen sehen die Partei bei 23 Prozent – so viel wie bei der Wahlschlappe 2009. SPD-Chef Sigmar Gabriel findet kein Konzept.

Berlin In seiner Antrittsrede als Parteichef im November 2009 rief Sigmar Gabriel die SPD zu einer Art Bürgerinitiative von oben auf. Die Partei müsse endlich wieder dahin gehen, "wo es brodelt, wo es lärmt, wo es riecht", sagte Gabriel.

Ein Jahr später brodelt bei der SPD reichlich wenig. Nach einer Umfrage des Forsa-Instituts liegt die Partei bei 23 Prozent. Nur weil die Grünen erstmals seit Wochen in der Wählergunst absackten, landet die SPD vor ihrem früheren kleinen Koalitionspartner. Nach Aufbruch riecht das nicht. Und Lärm entstand zuletzt nur dadurch, dass wieder einer der Altvorderen aus der Partei geworfen werden soll (Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin) und sich ein führendes Parteimitglied über angeblich bevorstehende Putschpläne beschwert (Generalsekretärin Andrea Nahles fürchtet eine Entmachtung während ihrer Babypause). Was ist also los mit der SPD?

"Wir leiden immer noch unter einem Glaubwürdigkeitsproblem", sagt Thüringens SPD-Wirtschaftsminister und Gabriel-Berater Matthias Machnig. Diese Stimmung lasse sich nicht einfach in einem Jahr umdrehen, so Machnig.

"Die großen Debatten im Land laufen an der SPD weitgehend vorbei", urteilt Klaus-Peter Schöppner, Chef des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid. Zwar habe Sigmar Gabriel die Partei nach der herben Niederlage im Herbst 2009 nach innen stabilisiert, "aber eben auf niedrigem Niveau".

Die von Gabriel angestrebte Deutungshoheit über die Zukunftsthemen ist in der Tat nicht in Sicht. Zentrale Debatten wie die Atompolitik, die Integration und die Fortschrittsfähigkeit des Landes regeln Schwarz-Gelb und Grüne unter sich. Der Lagerkampf, von der neuerdings polarisierenden CDU-Kanzlerin Angela Merkel ausgerufen, spielt den Grünen, nicht der SPD, in die Karten. Je größer der Unmut in der Bevölkerung über die Regierung, desto größer der Zuspruch für die Öko-Partei, die SPD-Altkanzler Helmut Schmidt einst als "Umweltidioten" abkanzelte. Auch in Baden-Württemberg findet der zum Symbolthema gewordene Streit um den Bahnhofsneubau Stuttgart 21 weitgehend ohne sozialdemokratische Beteiligung statt. Die Landes-SPD ist für den Neubau, will aber das Volk befragen – eine Zwitter-Position. die kaum kommunizierbar ist. Hinzu kommt, dass sich die Südwest-SPD gar eine grün-rote Regierung vorstellen kann. Juniorpartner SPD? Als der Bundesvorsitzende, ein Mann mit Hang zum Spontanausbruch, diese Meldung las, soll er getobt haben. Zwar kann sich Sigmar Gabriel in den Ländern einen grünen Regierungschef vorstellen, da ist der 51-Jährige pragmatisch genug, doch wer darüber offen redet, "der hat sich doch schon aufgegeben", heißt es in seinem Umfeld. Nun piesackt Gabriel die Grünen wieder stärker. "Die Grünen wollen bei jedem Konflikt dabei sein, aber keinen Konflikt entscheiden", ätzte er am Wochenende. "So kann man vielleicht Wahlkämpfe führen, aber keine Regierung."

Die Angriffe werten die Grünen indes nur auf. Die Umfragewerte für die Öko-Partei sind stabil. Auch Merkel hat die Grünen zum Hauptgegner erkoren. Zur SPD fiel der CDU-Chefin in ihrer Parteitagsrede nur eine spöttische Bemerkung in Anlehnung an den Spruch von Franz Müntefering, "Opposition ist Mist", ein. "Heute ist die SPD einen Schritt weiter", witzelte Merkel. "Die Opposition macht Mist."

In der SPD ist die Verärgerung immer noch groß, dass die Merkel-CDU die Früchte des wirtschaftlichen Aufschwungs davon trägt. Wo es doch SPD-Minister waren, die ihn in der großen Koalition erst herbeigeführt haben. "Merkels Aufschwung wäre ohne uns nur ein laues Lüftchen", sagt ein SPD-Vorstand und erinnert an die Ex-Minister Olaf Scholz und Peer Steinbrück.

In der Öffentlichkeit ist indes hängengeblieben, dass sich die SPD bei der Rente mit 67 und in der Afghanistan-Politik von alten Positionen verabschiedet hat. "Die Selbstfindungsphase ist noch nicht abgeschlossen", glaubt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer.

Was tun? "Wir müssen bei den Themen Recht und Ordnung, auf dem Arbeitsmarkt, bei Gesundheits- und Wirtschaftspolitik präsenter werden", fordert SPD-Stratege Machnig. Schwarz-Gelb habe die Mitte verlassen. "Die SPD kann die Partei eines neuen Konsenses werden." Die SPD-Bundestagsfraktion legt diese Woche vor. Der nach einer Nierenspende an seine Frau wiedergenesene Chef Frank-Walter Steinmeier will morgen im Bundestag die Kanzlerin stellen. Es soll ordentlich "zur Sache" gehen, heißt es.

(Rheinische Post)
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