Berlin SPD macht Sarrazin den Prozess

Berlin · Im Streit um den Ausschluss von Bestsellerautor Thilo Sarrazin aus der SPD kommt es heute zur ersten Anhörung. Chef-Anklägerin der Sozialdemokraten ist Generalsekretärin Andrea Nahles. Pikant: Über den Rauswurf Sarrazins entscheidet eine Richterin, die von Sarrazin vor Jahren gefeuert wurde.

Der Termin für den Prozessauftakt mitten in der Osterpause war durchaus gewollt. Der SPD-Führung wäre es am liebsten, wenn die erste und wohl einzige Anhörung im Parteiausschlussverfahren gegen den früheren Bundesbanker und Bestsellerautor Thilo Sarrazin keine Öffentlichkeit erfährt.

Von einem "Geheimprozess" schreibt der "Spiegel". Das dürfte zwar ein wenig übertrieben sein. Aber spannend ist der Prozess allemal. Denn die zuständige Kreisschiedskommission der SPD in Sarrazins Heimatverband Berlin-Charlottenburg wird in dem umstrittenen Verfahren entscheiden müssen, ob die millionenfach verkauften Buch-Thesen des 66-Jährigen zur angeblichen Integrationsunwilligkeit von Migranten parteischädigend sind. Selbst in der SPD bezweifeln das aber viele.

In seinem 2010 erschienenen Buch "Deutschland schafft sich ab" hatte der frühere Berliner Finanzsenator und damalige Bundesbank-Vorstand mit Äußerungen über eine angeblich erbliche Dummheit muslimischer Einwanderer Empörung hervorgerufen. Das intellektuelle Potenzial in Deutschland verringere sich, weil Frauen aus niedrigen Bildungsschichten mehr Kinder bekämen als diejenigen aus hohen Bildungsschichten, schrieb Sarrazin. Das SPD-Präsidium hatte sich daraufhin einstimmig für den Parteiausschluss des prominenten Genossen ausgesprochen. SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte die Äußerungen Sarrazins "gewalttätig" und "dämlich". Von geistiger Brandstiftung sprachen andere.

Auch der Berliner Landesvorstand sowie Sarrazins Ortsverein beantragten den Rauswurf. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles tritt heute als Chefanklägerin der Bundespartei auf. In spätestens drei Wochen muss dem Angeklagten, so will es die Satzung, das Urteil zugestellt werden. Dann kann Sarrazin allerdings noch Berufung vor der Bundesschiedskommission der SPD einlegen.

Sarrazins Rechtsbeistand ist der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD). Er rechne mit einem Freispruch, bekundete der 82-Jährige neulich im Gespräch mit unserer Zeitung. In einer Stellungnahme an die Schiedskommission hatte Dohnanyi argumentiert, die Äußerungen Sarrazins gäben nur allgemein anerkanntes Fachwissen wieder. Sarrazin habe nicht die Muslime insgesamt angegriffen, sondern nur jenen Teil der Zuwanderer, der sich weigere, seine "Kinder zum Deutschlernen, zu Bildungswillen und offener Integrationsbereitschaft zu erziehen". Die Deutschen scheuten Debatten, die bei anderen Völkern "gang und gäbe" seien, kritisierte Dohnanyi in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung".

Später hatten sich auch aktive SPD-Politiker, darunter Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, gegen einen Rauswurf Sarrazins ausgesprochen. Die SPD vermittele den falschen Eindruck, sie wolle die Debatte über Integrationsmängel loswerden, erklärte Steinbrück. Abgesehen von einigen Kapiteln könne man weiten Teilen von Sarrazins Analyse aber kaum widersprechen, so der SPD-Politiker. Auch der frühere Innenminister Otto Schily berät Sarrazin in juristischen Fragen und hält das Verfahren für eine "Farce". Eine breite Mehrheit der SPD-Mitglieder ist laut Umfragen ebenfalls gegen einen Ausschluss des streitbaren Sozialdemokraten.

Die SPD-Führung um den Vorsitzenden Sigmar Gabriel sieht das allerdings anders. "Wir bleiben bei unserer Linie", heißt es. Die Ansichten Sarrazins, dass Vererbung den Bildungserfolg oder Misserfolg eines Menschen zementiere, lasse sich mit einer sozialdemokratischen Politik der Chancen und der Aufklärung nicht vereinbaren, heißt es im Umfeld Gabriels. Die juristischen Details werde nun das Schiedsgericht der Partei unabhängig von politischem Druck klären.

Ganz so unabhängig ist das Gericht nicht. Die zuständige Richterin im Berliner SPD-Verband Charlottenburg heißt Sybille Uken. Die resolute Rechtsanwältin war 2004 Mitglied des Aufsichtsrats der Berliner Verkehrsbetriebe, eine "hartnäckige Frau, die sich mit den Großen der Stadt angelegt hat", wie ein Weggefährte berichtet. Dem damaligen Aufsichtsratschef war die selbstbewusste Frau offenbar ein Dorn im Auge. Er warf sie kurzerhand hinaus.

Sein Name: Thilo Sarrazin.

(RP)
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