Dong Späte Spuren des Vietnam-Kriegs

Dong · Am 17. Breitengrad wurden mehr Bomben abgeworfen als im gesamten Zweiten Weltkrieg. Und ein tückisches Gift kam zum Einsatz.

Ha Ihrer zehnjährigen Enkelin muss Nguyen The Tuyen die Flasche geben. "Sie kann nur Milch oder Reissuppe zu sich nehmen, und das wird sich ihr Leben lang nicht ändern." Die 56-Jährige sitzt auf einer Bastmatte, die sie auf dem Steinfußboden ihres kleinen Hauses in Dong Ha ausgebreitet hat, der Provinzhauptstadt von Quang Tri. Von Geburt an leidet ihre Enkelin an schweren geistigen und körperlichen Schäden. Eine Spätfolge von "Agent Orange", einem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel, das die amerikanischen Streitkräfte und ihre Verbündeten während des Krieges in der Provinz großflächig versprühten.

Das Herbizid enthielt den Wirkstoff TCCD. Dieser schädigt das ungeborene Kind im Mutterleib und verbleibt lange Zeit in der Umwelt. Die andauernde Belastung der vietnamesischen Bevölkerung mit Dioxin führt bis heute zu drastisch erhöhtem Auftreten schwerer Fehlbildungen bei Kindern, Krebserkrankungen, Immunschwächen und einer größeren Zahl weiterer Erkrankungen. Viele vietnamesische Neugeborene kommen auch drei Generationen nach dem Einsatz von "Agent Orange" noch mit schweren Fehlbildungen zur Welt.

"Mein Mann und ich waren im Krieg immer viele Tage im Wald, um Feuerholz zu sammeln, wir haben damit unseren Lebensunterhalt verdient." Nguyen The Tuyen wusste, dass das bei den täglichen Bombardements und Sprühflügen gefährlich war. Von den Spätfolgen aber ahnte sie nichts. Zumal ihre eigenen Kinder gesund zur Welt kamen. Bis heute lehnen die USA es ab, für die Folgen von "Agent Orange" die Verantwortung zu übernehmen. So müssen die meisten Opfer und ihre Angehörigen von einer bescheidenen Unterstützung der vietnamesischen Regierung leben.

Auch 40 Jahre nach Kriegsende leiden noch drei Millionen Vietnamesen nach offiziellen Angaben an Folgeschäden, mindestens 150 000 Kinder wurden bislang mit Behinderungen geboren. In der Provinz Quang Tri sind fast 16 000 Menschen betroffen. Auch Le Huu Dong aus dem Dorf Cam An hat lange nichts von den Folgen geahnt. Der 72-Jährige war Kundschafter der mit den Amerikanern verbündeten Armee Südvietnams. "Ich habe damals gesehen, wie die Blätter von den Bäumen fielen." Vier Jahre lang war er im Wald stationiert, wo massiv Agent Orange gesprüht wurde. "Aber letztlich dachte ich, den Krieg heil überstanden zu haben."

Dann wurden seine beiden Töchter geboren. Der Vater rückt den Kinderhocker aus rotem Plastik von dem kleinen Tisch ab, damit Le Thi Hoai Nhon und Le Thi Hoa darauf Platz nehmen können. Selbst diese niedrigen Hocker müssen die beiden erwachsenen Frauen mühsam erklimmen. Ihre Arme und Beine sind extrem verkürzt und missgebildet. So wurden sie geboren. Geistig aber sind sie zum Glück unbeschadet zur Welt gekommen. Und so helfen sie im Haushalt oder füttern die Tiere, und sie betreiben einen kleinen Laden an der Straße. "Wir verdienen damit jeden Tag ein bis zwei Dollar", sagt Le Thi Hoa mit leuchtenden Augen. Das gibt ihr und ihrer Schwester zumindest ein Stück Würde - in einer langen und beschämenden Geschichte.

Viet Than bahnt sich einen Weg durch das Unterholz. Auf dem Kopf trägt er einen olivgrünen Tropenhelm. Mit einem Kugelschreiber hat der 56-jährige Mr. Than auf die Rückseite geschrieben. So kann er ihn nicht verwechseln. Fast alle Kollegen des Forstingenieurs schützen sich gegen die sengende Sonne mit dieser Kopfbedeckung.

Auch die Soldaten der Nordvietnamesischen Armee trugen die leichten Helme, die zwar militärisch aussehen, aber keinen Schutz gegen Bomben und Granaten boten. Die einfach ausgerüsteten Dschungelkrieger kämpften besonders hier am 17. Breitengrad in der Provinz Quang Tri, der alten Demarkationslinie zwischen dem kommunistischen Norden und dem Süden des Landes, erbittert gegen die technologisch hoch überlegene Armee Südvietnams und ihre amerikanischen Verbündeten. Letztere überzogen das Land mit einem Flächenbombardement, das die Welt bis dahin nicht gesehen hatte. Nirgendwo auf dem Planeten wurden so viele Bomben abgeworfen wie über Quang Tri. Auf die Provinz gingen vier Millionen Tonnen Bomben und Minen nieder, mehr als im Zweiten Weltkrieg weltweit, und forderten unzählige Opfer. Der Krieg verursachte aber auch eine ökologische Katastrophe.

"Hier standen nur noch ein paar verkohlte Baumstümpfe, der Rest war Wüste mit Kratern." Viet Than kam kurz nach dem Kriegsende vor 40 Jahren in die Provinz. Schon bald begann er für die Ben Hai Forestry Company zu arbeiten, eines von drei großen staatlichen Forstunternehmen in der Provinz. Vor dem Krieg waren große Teile Quang Tris mit Naturwald bewachsen. Zwei Drittel wurden zerstört. Mit der Vernichtung ging auch der Artenreichtum der Region verloren. Früher lebten in diesen Wäldern Tiger, Malaienbären und Makaken.

Um Wasser und Böden zu schützen, begann die Regierung nach 1975 mit der Wiederaufforstung. Viet Than und seine Kollegen räumten Blindgänger und pflanzten neue Bäume. Keine ungefährliche Arbeit. Seit Kriegsende hat es in der Provinz 8000 Unfälle mit Blindgängern und Landminen gegeben. Aber heute ist die Hälfte Quang Tris wieder mit Wald bedeckt. Nach den Narben des Krieges aber braucht man jedoch nicht lange zu suchen. Viet Than zeigt in einen der Bombenkrater. "Wir lassen dort Pflanzen wild wachsen." Er nennt die Namen von fast 20 verschiedenen Arten. Diese wiederum geben Schmetterlingen, Käfern, Füchsen, Schlangen oder Kröten Lebensraum.

Eine notwendige Auflockerung auf den ansonsten nur mit Kiefern und Akazien bepflanzten Flächen. In den Forsten der Nachbarschaft gesellen sich Kautschuk- und Eukalyptusplantagen dazu, unterbrochen nur von kleinen Reisfeldern, Bananenstauden oder Pfefferbäumen. Nach der Ernte werden die Holzplantagen brandgerodet. Zurück bleibt eine Wüste, die von Neuem bepflanzt wird. Das geht am schnellsten und ist kostengünstig. Die Ben Hai Forestry Company aber geht neue Wege: Die Biotope in den Bombenkratern zum Beispiel nutzt sie, um eines der zehn Kriterien für die Zertifizierung mit dem FSC-Siegel zu erfüllen. Das Label für Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft schreibt einen Mindestanteil solcher Lebensräume für Flora und Fauna vor. Andere Kriterien sind das Verbot der Brandrodung, die Einhaltung von Schutzzonen um Wasserquellen, aber auch eine faire Bezahlung und die Einhaltung von Sicherheitsstandards.

Seit 2011 ist die Ben Hai Forestry Company mit dem FSC-Label zertifiziert. Langfristig soll ihr das bessere Zugänge zu den Märkten ermöglichen. Von den fast 10 000 Hektar, die das Unternehmen bewirtschaftet, werden rund zehn Prozent allmählich von Akazienplantagen in Mischwälder umgewandelt. Finanziert wird das mit dem Geld von knapp 900 Anlegern aus Deutschland. Bisher exportieren die Forstunternehmen der Region die Akazien nur als Holzchips in andere asiatische Länder. Dort verarbeitet man sie zu Papier sowie zu Span-Platten. Wachsen die Bäume länger und in besserer Qualität, taugen sie auch als Bau- oder massives Möbelholz. Und erzielen bessere Preise.

(RP)
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