Gewalt gegen Frauen Sollte Frauenfeindlichkeit als Motiv im Strafrecht auftauchen?

Analyse | Düsseldorf · Frauen werden deutlich häufiger Opfer von Gewalt als Männer. Manchmal auch aus reinem Frauenhass. Sollte „frauenfeindlich" darum als strafverschärfendes Motiv ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden? Experten sehen das unterschiedlich.

 Immer mehr Menschen fordern, Frauenfeindlichkeit ins Strafgesetz aufzunehmen.

Immer mehr Menschen fordern, Frauenfeindlichkeit ins Strafgesetz aufzunehmen.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Jede dritte Frau wird laut Bundesfamilienministerium einmal im Leben Opfer von Gewalt. Ausgesetzt sind Frauen sowohl psychischer, körperlicher wie sexueller Gewalt und sie widerfährt ihnen innerhalb der Partnerschaft wie im öffentlichen Raum. Noch immer bleiben solche Taten oft im Dunkeln, doch inzwischen reden mehr Frauen darüber, was ihnen geschieht. Auch Frauen in der Öffentlichkeit wie Politikerinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen. Aus Scham ist Wut geworden. Und so wird das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen inzwischen öffentlich wahrgenommen – und der Druck wächst, dem etwas entgegenzusetzen. Zum Beispiel die Androhung härterer Strafen.

Eine Möglichkeit dafür wäre, den Begriff „frauenfeindlich“ als strafverschärfendes Motiv ins Strafgesetzbuch einzuführen. Wenn Menschen eine Straftat begehen und vor dem Richter landen, spielt für die Höhe der Strafe nicht nur der Tathergang eine Rolle, sondern auch das Motiv. Schon jetzt heißt es dazu in Paragraph 46 des Strafgesetzbuches, dass insbesondere „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Motive das Strafmaß verschärfen können. Künftig könnte auch das Kriterium „frauenfeindlich“ in diesem Paragraphen auftauchen – und Richtern und Richterinnen dazu dienen, ein erhöhtes Strafmaß zu begründen.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat sich grundsätzlich offen dafür gezeigt. Zunächst brauche es aber mehr Datenmaterial. Dazu müssten frauenfeindliche Taten aber als eigene Kategorie in die Polizeistatistik aufgenommen werden. Lambrecht forderte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf, sich nicht weiter dagegen zu sperren. Der hat inzwischen Bereitschaft signalisiert: „Wir wissen, wie oft Frauen Opfer von Straftaten werden. Wir wissen aber nicht, wie viele dieser Taten aus frauenfeindlichen Motiven begangen werden“, sagte Seehofer dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“. „Wir müssen frauenfeindliche Straftaten künftig auch in den Polizeistatistiken besser sichtbar machen.“ Dazu will sich der Bundesinnenminister mit den Ländern absprechen. In der Praxis kann die Bestimmung des Tatmotivs allerdings schwierig werden, ist beim Landeskriminalamt (LKA) in NRW zu erfahren. Denn sie setzt voraus, dass der Täter sich bekennt oder die Tat zweifelsfrei aufgeklärt wird. In der Rubrik „Opferspezifik“ der polizeilichen Kriminalstatistik wäre die Erfassung denkbar. Allerdings verweist auch das LKA auf die hohe Dunkelziffer und darauf, dass es womöglich sinnvoll sei, die Motivbestimmung nicht auf Frauen zu beschränken, sondern „geschlechtsspezifische Motive“ einzuführen, da etwa auch diverse Menschen betroffen seien.

Statistisch bleibt also einiges zu tun. Ob es dann zu einer Veränderung des Strafrechts kommt, ist fraglich. Der Strafrechtler Tobias Westkamp von der Kölner Kanzlei Hatlé & Westkamp hält den Vorschlag für Symbolpolitik. Richter hätten schon jetzt die Möglichkeit, bei Taten mit menschenverachtenden Motiven schärfere Strafen zu verhängen, darunter fielen auch frauenfeindliche Vergehen. „Ich halte das für völlig ausreichend“, so Westkamp. In kontroversen gesellschaftlichen Debatten wie der aktuellen zum Thema Gewalt gegen Frauen, sei es oft ein Reflex, nach härteren Strafen zu rufen. Doch sei das allein keine Lösung. „Das Strafrecht ist kein Allheilmittel“, sagt Westkamp. Härtere Strafen zu fordern, klinge erst einmal markig, doch am Ende der Kette führten sie zu höheren Kosten bei Strafverfolgungsbehörden, Gericht und dem Strafvollzug – Geld, das vielleicht für Prävention viel sinnvoller ausgegeben werden könnte. „Außerdem wäre erst noch zu prüfen, ob härtere Strafen auf Menschen mit tiefsitzendem Frauenhass überhaupt abschreckende Wirkung hätten“, sagt Westkamp.

 Der Strafrechtler warnt auch davor, dass immer mehr Interessensgruppen, die durchaus beachtenswerte Anliegen vertreten, Berücksichtigung im Strafrecht finden. Bei den Grundsätzen für die Strafermessung hätten schon rassistische und fremdenfeindliche Motive nachträglich besondere Erwähnung gefunden. Wenn nun Frauenfeindlichkeit hinzukäme, könnten sich mit gleicher Berechtigung weitere Gruppen melden und zum Beispiel fordern, Polizeifeindlichkeit oder Staatsfeindlichkeit gesondert aufzuführen. „Auch andere Personengruppen, die unter Diskriminierung leiden, etwa Transgender-Menschen könnten ihre stärkere Gefährdung anführen. Das würde kein Ende nehmen“, sagt Westkamp, „darum steht im Strafrecht ja schon jetzt: ,oder sonstige menschenverachtende Motive’, damit werden alle diese Gruppen berücksichtigt.“

Auch bleibt die Frage, ob eine Tat härter bestraft werden sollte, wenn sie aus Frauenhass geschieht. Aus feministischer Sicht ist das gerechtfertigt, weil Frauen – anders als die meisten Männer, wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit Gewalt ausgesetzt sind. Bei schwerer Körperverletzung in Partnerschaften etwa betrug der Anteil weiblicher Opfer 2019 rund 85 Prozent.

„Der Gesetzgeber sieht vor, dass Gleiches nicht ungleich behandelt werden darf, nur Ungleiches darf ungleich behandelt werden“, sagt Strafrechtler Westkamp. Ein härteres Strafmaß allein für frauenfeindliche Taten könne also nur begründet werden, wenn der Gesetzgeber in Frauen grundsätzlich eine schwächere Personengruppe sehe, die des besonderen Schutzes bedürfe. „Ich denke, eine solche Einschätzung würde den Interessen der Frauen eher schaden“, sagt Westkamp, „allerdings ist das meine private Meinung, für den Gesetzgeber sind interessenpolitische Überlegungen keine Kategorie.“

Die forensische Psychiaterin Nahlah Saimeh will den Vorstoß nicht kommentieren, betont aber, dass das Thema komplizierter sei, als es auf den ersten Blick scheine. „Es gibt explizit frauenfeindlich motivierte Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Frauen aus ganz anderen emotionalen Gründen“, sagt Saimeh. Sie halte es für wichtig, die tief verankerten frauenfeindlichen Denkmuster aufzudecken, die auch in postmodernen Gesellschaften existierten. „Diesen Mustern sitzen alle auf, übrigens auch die Frauen“, sagt Saimeh. Die Gesellschaft müsse sich auch fragen, ob viele Anforderungen an Männer nicht menschenfeindlich seien. Männer begingen weit häufiger Suizid, stürben früher an diversen Krankheiten, seien stärker suchtmittelgefährdet und rutschen leichter in die Kriminalität ab. Saimeh plädiert dafür, grundlegender über gesellschaftlich-zivilisatorische Weiterentwicklung zu diskutieren und die Aufteilung von „Männern hier“ und „Frauen dort“ aufzugeben. „Im Grunde geht es doch um Menschenwürde für alle Menschen“, sagt Saimeh, „das ist doch das Ziel.“

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