42 Sekundarschulen gehen an den Start So funktioniert das Schulbündnis in NRW

Im Sommer starten in NRW 42 Sekundarschulen. Schulministerin Sylvia Löhrmann hat sich für ihr Kernprojekt mit den Kommunen verbündet. Eine gemeinsame Herzenssache aber ist die neue Schule nicht.

NRW-Politiker schließen Schulfrieden
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Düsseldorf Wer Reformen will, braucht Verbündete. Wer die Revolution will, braucht mächtige Verbündete. Sylvia Löhrmann wollte die Revolution. Zumindest lief es auf eine Revolution hinaus, was 2010 Nordrhein-Westfalens neue grüne Schulministerin als Ziel im Koalitionsvertrag verewigte: Bis 2015 sollten 30 Prozent der weiterführenden Schulen ihre Kinder bis mindestens zur sechsten Klasse gemeinsam unterrichten. Das hätte bis zu 900 Schulen betroffen.

Knapp zwei Jahre später ist klar: Es wird ein Revolutiönchen, wenn auch mit historischen Auswirkungen. 42 Sekundarschulen nehmen nach den Sommerferien den Betrieb auf. Etwa 4000 Fünftklässler werden dann nach Angaben des Ministeriums in diesen neuen Schulen lernen. Bis 2015 erwartet die Landesregierung 200 Neugründungen. Damit wäre schon jede zweite Kommune in NRW dabei.

Die Sekundarschule umfasst die Klassen 5 bis 10. Bis mindestens Klasse 6 lernen alle Kinder gemeinsam. Danach kann nach Leistung differenziert werden. Jede Sekundarschule soll über eine Kooperation mit einem Gymnasium oder einer Gesamtschule einen Weg zum Abitur anbieten.

Löhrmann hat es mit ihrer Umgestaltungspolitik überhaupt so weit gebracht, weil sie zwei mächtige Verbündete an ihrer Seite weiß: die Demografie und die Kommunen. Weil die Schülerzahl in NRW drastisch sinkt (minus 15 Prozent in den nächsten zehn Jahren), bekommen vor allem Landgemeinden ihre Schulen nicht mehr voll. Um aber zumindest eine weiterführende Schule vor Ort zu sichern, liegt es im Interesse der Kommunen, neue Angebote zu schaffen, die die Schulformgrenzen sprengen.

Löhrmann manövrierte sich zunächst in die Sackgasse mit dem Versuch, ihr Projekt "Längeres gemeinsames Lernen" gegen die Opposition, mangels Mehrheit aber mit der rechtlichen Krücke des Schulversuchs durchzudrücken. Eine geplante Schule stoppte das Oberverwaltungsgericht Münster, bei einer weiteren zog das Ministerium selbst die Notbremse. Die Schulrevolution zerbröselte beim ersten ernsthaften Widerstand. Der entscheidende Schritt zu einer gesetzlichen Regelung gelang erst im Sommer 2011 mit Unterstützung der CDU. Ergebnis: der "Schulfrieden", der das Konfrontationskonzept Gemeinschaftsschule zum Konsensmodell Sekundarschule fortentwickelte, die Hauptschulgarantie aus der Verfassung strich und die gesetzliche Garantie des gegliederten Schulwesens ausbaute.

Die 42 neuen Schulen nennt CDU-Landeschef Norbert Röttgen denn auch ein "erfreuliches und positives Ergebnis": "Es zeigt, dass der Bildungsstandort Nordrhein-Westfalen nachhaltig gestärkt wurde." Von Bildungsverbänden und Gewerkschaften kommt allenfalls Kritik am Tempo, mit dem die Kommunen die Errichtung von Sekundarschulen angingen. Der Verband Lehrer NRW befürchtet, die Zeit für das von Löhrmann angekündigte Fortbildungspaket sei zu knapp.

Grundsätzlich aber hat die Ministerin bis auf die FDP und die Linke alle wichtigen politischen Akteure im Boot. Da macht es nicht viel aus, dass beispielsweise ihre Übereinstimmung mit den Kommunen, was das Ziel angeht (neue weiterführende Schulen vor Ort), die Divergenz über den Grund dafür verkleistert.

Auch gestern sagte Löhrmann, längeres gemeinsames Lernen sei "der große Wunsch" der Kommunen. Zweifel daran nähren nicht zuletzt die Zahlen — nur sieben von 42 Sekundarschulen entstehen in Großstädten, dort also, wo im Allgemeinen weiterhin überhaupt genug Schüler für ein komplettes gegliedertes Schulsystem vorhanden sein werden. Eher treibt die blanke Not die Bürgermeister zur Schulreform.

Bildungsforscher erwarten, dass die Sekundarschule wegen ihrer Attraktivität langfristig wie ein Staubsauger wirkt, der sich die anderen Schulformen (die sterbende Hauptschule, aber auch Real- und Gesamtschule) einverleibt — Ergebnis wäre ein zweigliedriges Schulsystem, Gymnasium plus Sekundarschule. Auf dem Land könnte bald vielerorts die Sekundarschule die einzige weiterführende Schulform sein.

Hinzu kommt: 30 der 42 neuen Sekundarschulen wollen ab Klasse 7 ganz oder teilweise getrennten Unterricht anbieten; zwölf aber arbeiten integriert, also ohne "Differenzierung nach vermeintlicher Leistung" (Löhrmann). Darin sieht etwa Dieter Neumann, Bildungsforscher an der Uni Lüneburg, eine Gefahr: "Es droht der Zustand, dass Eltern für ihre Kinder keine differenzierende Schule mehr wählen können." Er halte es deshalb für falsch, ein zweigliedriges Schulsystem pädagogisch zu begründen, sagt Neumann: "Die eigentliche Begründung ist die Demografie. Das sollte man auch ehrlich sagen."

Löhrmann hat ihre Sekundarschulen nicht wegen eines plötzlichen Booms der Reformpädagogik durchsetzen können, sondern weil sie erst eine Allianz mit den von Schwarz-Gelb enttäuschten Kommunen und dann mit der von der Basis her in Bedrängnis geratenen CDU geschmiedet hat. Zweckbündnisse freilich, das zeigt die politische Erfahrung, tragen oft weiter als Liebesheiraten.

(RP/csi)
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