Kommentar zur Organspende Sinnvoller Zwang zum Nachdenken

Berlin · Der Reformvorschlag zur Organspende hat eine Chance verdient. Es muss aber eine breite Debatte über andere Ideen geben. Klar ist nur: So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.

Die Behauptung, der Staat wolle seine Bürger zum Spenden von Organen zwingen, ist Quatsch. Es geht nicht darum, künftig Teile des eigenen Körpers vor dem Zugriff des Staates retten zu müssen. Es geht darum, die hohe Bereitschaft der Menschen zur Organspende so zu nutzen, dass es für mehr Patienten auf der Warteliste Hoffnung gibt. Was die Gruppe von Abgeordneten um Gesundheitsminister Jens Spahn vorschlägt, ist ein Zwang zum Nachdenken, ein Zwang zur Haltung. Und das ist durchaus sinnvoll. Mit einer Widerspruchslösung würden die Bürger dazu gebracht, sich mit der Organspende intensiv auseinander zu setzen. Eine Ablehnung der Organspende bliebe dabei vollkommen legitim, ohne moralischen Druck, ohne Einflussnahme von außen. Das muss der Gesetzgeber schaffen: Der entsprechende Registereintrag muss sehr leicht zugänglich sein, frei von ärztlicher Einflussnahme. Aufklärung ja, Manipulation nein. Das muss der Grundsatz für die geplante Reform sein.

Ist das gewährleistet, hat die Widerspruchslösung eine Chance verdient, endlich die Zahl der Organspenden nach oben zu treiben. Denn es ist doch paradox: Da sind Umfragen zufolge mehr als 80 Prozent der Deutschen bereit, ihre Organe nach dem Tod zu spenden, um Schwerkranken das Leben zu retten. Und gleichzeitig liegt die Zahl der Spender bei unter 1000 – in einem vergleichsweise „guten“ Jahr. So kann es nicht weitergehen.

Der Staat muss die Freiheitsrechte jedes Einzelnen schützen, die körperliche Unversehrtheit ist ein Grundrecht. Das darf nie in Abrede stehen. Der Reformvorschlag tut das aber auch nicht. Er sieht einen Mechanismus vor, bei dem es am Ende keine unklare Haltung der Menschen mehr geben kann. Wirft jemand alle geplanten, umfangreichen, wiederholten Aufklärungsschreiben ungelesen in den Müll, darf der Staat eine bestimmte Haltung annehmen – auch die der Zustimmung zur Organspende. Und selbst wenn jemand den Widerspruch nicht einem Arzt oder Angehörigen gegenüber äußern möchte, genügt ein Zettel im Portemonnaie oder der Schublade zu Hause, um die Organentnahme zu untersagen. Wichtig ist aber auch, dass vermeintliche Konflikte zwischen der Bereitschaft zur Organspende und dem Willen in Patientenverfügungen aufgelöst werden. Bisher sind die Verfügungen nicht gut genug geregelt, um beides zu vereinbaren.

Der Staat hat eine Fürsorgepflicht auch den Schwerkranken gegenüber. Gesetzesreformen, die dazu führen, dass mehr Organe bei ihnen ankommen, sollten nicht von vornherein abgelehnt werden. Zugleich ist es natürlich wichtig, dass die Debatte ernsthaft und mit Rücksicht auf alle ethischen und religiösen Vorbehalte geführt wird. Gelingt das wie bei der Diskussion um die Sterbehilfe, könnte die Abstimmung über die Organspende zu einer weiteren Sternstunde im Parlament werden.

(jd)
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