Düsseldorf Sind die Japaner wirklich gelassen?

Düsseldorf · Erdbeben, Tsunami, der Atom-GAU von Fukushima: Die Welt hat in den vergangenen Tagen nicht nur mit Japan getrauert, die Japaner haben sie auch Bewunderung gelehrt. Bewunderung ob der vermeintlichen Gelassenheit, mit der sie versuchen, ihr alltägliches Leben so gut es geht weiterzuführen. Staunen über die Ruhe, die sie trotz aller Ängste und Sorgen bewahren, und darüber, dass sie sich ungeachtet aller Not für die Hilfe, die sie benötigen, entschuldigen. Die Japaner, das hat die Welt gelernt, sind ein bemerkenswertes Volk. Aber bleiben die Japaner tatsächlich so gelassen? Oder fußt die Bewunderung auf einem kulturellen Missverständnis?

Von Gelassenheit zu reden, ist eine Fehlinterpretation der japanischen Mentalität. Wirklich gelassen ist in Tokio derzeit niemand. Wie auch angesichts der Katastrophe, die über das Land kam? Beim Bangen vor dem Super-GAU, der Bedrohung des eigenen Lebens? Wer diese vermeintliche Gelassenheit richtig verstehen möchte, muss wissen: Angst zeigt man in Japan nicht und Schmerzen ebenfalls nicht. Auch Flucht ist keine Option. Nicht mal angesichts einer atomaren Wolke, die in Richtung Tokio zu ziehen drohte. Der Japaner bleibt in seiner Heimat, so lange es geht.

Das mussten kürzlich auch die Verantwortlichen des Fußball-Zweitligisten FC Augsburg erfahren. Dort spielt der japanische Profi Hajime Hosogai. Als vor dem Spiel gegen Oberhausen am Samstag der Opfer der Katastrophe in Japan gedacht wurde, kullerten dem 24-Jährigen Tränen über die Wangen. Doch das Angebot des Vereins, seine Familie ausfliegen zu lassen, schlug er aus. Seine Familie will nicht weg.

Selbst die Menschen, die in der Nähe des Unglücksreaktors Fukushima wohnen und ihre Häuser verlassen mussten, sprechen nicht von Flucht. Sie reden lieber von Evakuierung. Auch dass die Menschen in Tokio bemüht sind, ihren Alltag weiterhin so normal wie möglich zu gestalten, ist der japanischen Mentalität geschuldet. Zu deren Grundfesten gehört es, das Wohl der Gemeinschaft über das des Einzelnen zu stellen. Egoismus hat da keinen Platz, Panikmache ebenso wenig.

Die Japaner lernen bereits im Kindergartenalter, sich in eine Gruppe einzuordnen. Jeder muss seinen Platz finden und ausfüllen. Das lässt sich schon bei Mannschaftssportarten beobachten: Die Japaner sind bekannt für ihre taktische Disziplin. Diese spiegelt die Selbstdisziplin im alltäglichen Leben. Auch in den Tagen nach der Katastrophe ist das hilfreich: Je mehr jeder Einzelne die Normalität aufrechtzuerhalten sucht, desto leichter kann sie möglicherweise tatsächlich für alle aufrechterhalten werden. Zudem gehört es zu den Grundüberzeugungen, dass man anderen nicht zur Last fallen möchte.

Aus diesem Grund entschuldigen sich Japaner auch dafür, wenn sie Hilfe benötigen. Sie wollen niemandem etwas schuldig sein. Doch das Miteinander ist auch stark hierarchisch geprägt. Das zeigt sich in der Sprache: Wer mit einem sozial Höhergestellten spricht, ordnet sich unter. Eine ähnliche Bescheidenheit zeigt sich dieser Tage oft in Gesprächen mit TV-Sendern. Die Menschen nehmen sich zurück, wenn sie über die Katastrophe sprechen.

Selbstverständlich ist es hilfreich, dass die Japaner schon als Kinder lernen, mit Erdbeben umzugehen. Die Bedrohung ist Bestandteil des täglichen Lebens. Es gibt im Japanischen den Ausdruck "Shikata ga nai": "Es ist nicht zu ändern."

(RP)
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