Wien Setzt Österreich erneut auf große Koalition?

Wien · Das Abschneiden mehrerer neu angetretener Kleinparteien wird über eine Fortführung des schwarz-roten Bündnisses entscheiden.

Österreich fiebert dem morgigen Wahlsonntag entgegen. Wird die große Koalition, die dem Land die letzten fünf Jahre eine an Friedhofsruhe grenzende Stabilität verordnete, weiterregieren? Oder kommen mit bunteren Koalitionen neue, aber auch unsichere Zeiten? Stärkste Fraktion seit der jüngsten Wahl 2008 sind die Sozialdemokraten (SPÖ) mit 57 Sitzen, gefolgt von den Konservativen (ÖVP) mit 51, den rechten Freiheitlichen (FPÖ) mit 38, den Grünen mit 20 und dem "Bündnis Zukunft Österreich" (BZÖ) mit zwölf. Das "Team Stronach", die Partei des austrokanadischen Milliardärs Frank Stronach, erhielt nach seiner Gründung vor einem Jahr dank der Übertritte mehrerer Abgeordneter Fraktionsstatus und ist mit fünf Sitzen vertreten. Diese sechs Parteien werden voraussichtlich auch im neuen Parlament vertreten sein.

Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer von der konservativen ÖVP hat schon den Abgesang auf die große Koalition angestimmt: "Sie hat sich überlebt." Haslauer rät seinem Parteichef und ÖVP-Kanzlerkandidaten Michael Spindelegger, es ihm doch gleichzutun und andere Partner als die Roten zu suchen. In Salzburg regiert seit der Landtagswahl im Frühjahr eine bunte Dreierkoalition aus Schwarzen (ÖVP), Grünen und Gelben ("Team Stronach"). Haslauer empfiehlt Spindelegger, eine schwarz-grüne Koalition anzustreben, wenn nötig mit einer "kleinen dritten Partei".

Doch Spindelegger ist kein Mann, der Experimente wagt. "Ich bin für alle Optionen offen", sagte er bewusst vage. Letzten Umfragen zufolge könnte die Wahl für die ÖVP äußerst bitter werden, sahen diese die Konservativen doch sogar nur noch auf dem dritten Rang hinter der rechten FPÖ.

Das nährte zuletzt Spekulationen über eine Neuauflage eines schwarz-blauen Bündnisses – also aus ÖVP und FPÖ. Fraglich nur, ob FPÖ-Chef Heinz Christian Strache bereit ist, einen ÖVP-Kanzler zu akzeptieren. Jörg Haider machte 2000 Wolfgang Schüssel zum Kanzler, obwohl dessen ÖVP nur dritte Kraft wurde. Strache ließ umgehend dementieren: "Wir machen mit Sicherheit keinen Dritten zum Kanzler." Auffallend nur, dass von allen Parteien einzig die ÖVP "im Prinzip" bereit ist, auch mit der FPÖ zu koalieren. Die Erfahrung schreckt offensichtlich nicht ab: Die Milliarden-Skandale der Schüssel-Haider-Koalition (2000–2007) werden noch Jahre auf den Schultern der Steuerzahler lasten.

Rot-Grün wäre politisch denkbar, doch fehlt es dafür deutlich an der Mehrheit. Schwarz-Rot-Grün wäre derzeit nach Umfragen die populärste Regierungsform der Österreicher, scheitert aber von vornherein an den Differenzen zwischen Konservativen und Grünen.

Ob SPÖ-Chef Werner Faymann Kanzler einer großen Koalition bleiben kann, hängt vom Abschneiden der neuen, kleinen Parteien ab. Die Stronach-Partei dürfte ein Ergebnis oberhalb der Vier-Prozent-Hürde schaffen und im Parlament bleiben. Die Ex-Haider-Partei "Bündnis Zukunft Österreich" muss um den erneuten Einzug ins Parlament zittern. Die Vier-Prozent-Hürde könnten erstmals die neugegründeten liberalen Neos überspringen.

Wahlentscheidend ist vor allem der Ballungsraum Wien und Umgebung, wo mehr als zwei Millionen Menschen leben und 50 der 183 Mandate vergeben werden. Die "Schlacht um den Gemeindebau", also um die traditionellen Arbeiterbezirke, zwischen SPÖ und FPÖ ist nicht mehr so heftig. Viele Sozialdemokraten, die zu Haider übergelaufen sind, wollen Strache nicht wählen. Auch ziehen dessen Anti-Ausländer-Kampagnen nicht mehr so wie früher.

Strache hat mittlerweile auch den Favoritenrang bei den Jungwählern eingebüßt: In einer Umfrage des Instituts für Jugendforschung liegen bei den 16- bis 29-Jährigen die Grünen an der Spitze der Parteien, die FPÖ rutschte auf den dritten Rang ab, hinter die SPÖ. In Österreich dürfen seit 2008 auch Jugendliche ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben. Das vorläufige Ergebnis wird morgen Abend im Parlament verkündet.

(RP)
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