Seehofers schwierige Prag-Mission

Erstmals seit Kriegsende besucht morgen ein bayerischer Ministerpräsident den Nachbarstaat Tschechien. Tiefer Zwist über das Vertreibungs- und Enteignungs-Unrecht an Millionen Sudetendeutschen belastete jahrzehntelang die Beziehungen. Besserung ist in Sicht.

München/Prag Der Freistaat Bayern und die Tschechische Republik haben eine lange gemeinsame Grenze und viele Probleme miteinander. Das eine ist ein geografisches Faktum, das andere eine variable Größe. Sie zum Guten zu verändern, ist nun vornehmste Politiker-Aufgabe. Horst Seehofer (CSU) macht sich persönlich und konkret ans Versöhnungswerk. Als erster bayerischer Ministerpräsident seit dem Krieg wird sich Seehofer morgen und übermorgen zum offiziellen Besuch in Prag aufhalten.

Über Jahrzehnte hinweg waren die Beziehungen zwischen Prag und München vereist – diplomatische Einbruch- und Ausrutschgefahren allerorten. Bayern hatte nach Kriegsende und gewaltsamer Vertreibung mehr als zwei Millionen Sudetendeutschen eine neue Heimat geboten. Fortan durften sich die aus Böhmen vertriebenen Deutschen nach Altbayern, Schwaben und Franken als "vierter Stamm" im schönen Bayernland fühlen – politisch gehegt und gepflegt von der "Staatspartei" CSU. Deren Spitzenvertreter waren auf diversen "Sudetendeutschen Tagen" selten um geharnischte Worte an die Adresse des offiziellen Prag verlegen, wo man die Vertreibungsverbrechen so störrisch wie unwahrhaftig als "Odsun" ("Abschiebung") zu beschönigen pflegte.

Mit Seehofer reist morgen zum anfänglichen Missvergnügen der Tschechen Bernd Posselt, Sprecher der heimatvertriebenen Sudetendeutschen und CSU-Europa-Parlamentarier. Das macht die Mission noch heikler, als sie es nach der langen politischen Frostperiode zwischen Tschechien und Bayern ohnehin ist. Seehofer hatte die Mitreise-Möglichkeit Posselts zur Bedingung gemacht. Die Tschechen lenkten ein, aber wiederum nicht so ganz. Denn der Sprecher der Sudetendeutschen wird morgen und übermorgen protokollarisch eher an den Katzentisch platziert. Posselt bezeichnete es als "vollkommen unnormal", dass er als Mitglied der Münchner Delegation draußen bleiben muss, wenn Seehofer mit dem konservativen Prager Premier Petr Necas spricht.

Aber um der höheren Aussöhnungssache, des Ausbaus gedeihlicher wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Bayern und Tschechen willen, nimmt der Vertriebenen-Sprecher in Seehofers Tross die Zurückstufung hin. Seehofer, dem laut jüngstem Wikileaks-Verrat die plappermäulige Berliner US-Botschaft ein "Mangelhaft" ins außenpolitische Zeugnis geschrieben hat, möchte zum Jahresende ein wenig bayerisch-tschechische Geschichte schreiben. Von "historischer Reise" ist in München die Rede sowie von der Chance, nach mehreren vergeblichen Anläufen früherer Ministerpräsidenten wie Edmund Stoiber oder Günther Beckstein das Eis zu brechen und in Prag Necas' Gegenbesuch demnächst im Münchner Frühling zu verabreden.

Wenn da bloß nicht immer wieder die historisch bösen, bis heute politisch verflixten Benes-Dekrete aus der unmittelbaren Nachkriegszeit das politische Tauwetter gefährdeten. Tschechiens Premier hatte den hoffnungsfrohen Reise-Planern in München frühzeitig deutlich machen lassen, wenn der bayerische Ministerpräsident hauptsächlich über die Benes-Dekrete reden wolle, könne man sich das nachbarschaftliche Staatstreffen eigentlich sparen. Auch Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg (Vaclav-Havel-Freund und Spross eines böhmischen Fürstengeschlechts, dessen Palais zu den Highlights der Prager Burganlage zählt) warnte. Schwarzenberg beurteilt zwar die Benes-Dekrete, die die Grundlage für die Vertreibung und Enteignung der Deutschen im Sudetenland bildeten, sehr kritisch; aber auch er fügte hinzu: "Bayern ist für uns ein sehr wichtiger wirtschaftlicher Partner, über die Benes-Dekrete werden wir nicht verhandeln."

Seehofer wird die Unrechts-Akte natürlich ansprechen – das ist er nicht zuletzt den bayerischen Heimatvertriebenen und deren Nachkommen schuldig – , aber er weiß ebenso wie Vertriebenen-Sprecher Posselt, dass man Zukunft nicht gut gestalten kann, wenn man die belastende Vergangenheit stets ins grelle Licht stellt. Seehofer meint, irgendwann breche sich erfahrungsgemäß die Wahrheit Bahn.

Morgen und Montag findet somit ein kleines Stück nachgeholter Ostpolitik statt. Versöhnung heißt das vorweihnachtliche Zauberwort, mit dem Bayerns und Tschechiens Führungspersönlichkeiten auf eine gute Nachbarschaft anstoßen wollen.

(Rheinische Post)
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