Analyse Seehofers Anti-Islam-Strategie

Berlin · Was steckt hinter der Festlegung des neuen Innenministers, der Islam gehöre nicht zu Deutschland? Jedenfalls nicht nur das Festhalten an eigenen Positionen. Es geht auch um persönliche Rivalitäten, alte Fehler und neue Politik.

Der neue Innenminister von der CSU hat gerade erst sein Haus übernommen, da löst er schon den ersten gesellschaftlichen Großkonflikt aus, indem er sich von dem Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, klar distanziert. Ja, so war das Anfang März 2011, als CSU-Chef Horst Seehofer den neuen Mann für Recht und Ordnung im Bundeskabinett vorstellte: Hans-Peter Friedrich gab als neues Mitglied der Bundesregierung zu Protokoll, dass sich diese Islam-gehört-zu-Deutschland-These "auch aus der Historie nirgends belegen" lasse. Wer wissen will, warum fast auf den Tag genau sieben Jahre später Horst Seehofer auf gleichfalls polternde Art in sein neues Regierungsamt einsteigt, darf diesen Vorläufer-Vorgang nicht übersehen. Wie kann einer in Sachen "klare Kante" hinter einem zurückbleiben, der ihm rückblickend nicht scharf genug war?

Aber es sind nicht so sehr die inneren Zwänge, die Seehofers Bekundung erklären. Er hat tatsächlich nie eine andere Meinung vertreten. Insofern verkennt jeder die Persönlichkeitsstruktur Seehofers, der von ihm erwartet, etwa mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt, auf aktuelle Anschläge auf Moscheen oder auf seinen Job als Chef der Islamkonferenz plötzlich andere Töne anzustimmen.

Vor allem widerspräche ein betont gemäßigterer Umgang mit der Materie völlig der eigentlichen Funktion Seehofers in der neuen Bundesregierung. Mit der richtungweisenden Auswahl von Bayern-Innenminister Joachim Herrmann als CSU-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl hatte Seehofer bereits im Sommer vergangenen Jahres klargemacht, dass die Christsozialen nach erfolgreichen Wahlen vor allem das Innenressort beanspruchen werden. Wozu, das hatten sie im Wahlkampf oft erläutert: Nach den Erfahrungen mit Angela Merkels Flüchtlingspolitik 2015 wollten sie eine Wiederholung auch dadurch unterbinden, dass sie die administrative Verantwortung für den Bereich übernehmen und die Richtung bestimmen.

Dahinter stecken natürlich auch mittel- und langfristige strategische Erwägungen. Die CSU lastet der CDU-Chefin an, mit ihrer Verschiebung der CDU-Orientierung in die linke Mitte rechts ein Vakuum zugelassen zu haben, in dem sich die AfD bei erstbester Gelegenheit bequem einrichten konnte. Freilich ist damit auch immer unausgesprochen eine Selbstkritik verbunden. Schließlich hatte die Union seit Jahrzehnten Übung darin, mit verteilten Rollen die Wählerpositionierungen aufzunehmen: Die CDU war für Mitte-links zuständig, die CSU für Mitte-rechts.

Aus dieser Perspektive mahnte das christsoziale Selbstverständnis, auf der rechten Seite bloß nicht die Fehler der SPD auf der linken Seite zu wiederholen: zuzulassen, dass sich erst die Grünen, dann die Linken im gleichen Spektrum zulasten der SPD breitmachen und damit die Sozialdemokratie immer weiter von der Chance auf eine kanzlerfähige Mehrheit wegbringen.

Dass die CSU die alte Funktion bei der Bundestagswahl nicht erfüllen konnte, liegt an einem Glaubwürdigkeitsverlust ihrer Politiker. Sie hatten ihre Anhänger in der Flüchtlingspolitik gegen Merkel auf den Baum getrieben - und dann mit eigenem Bayernplan gleichwohl Wahlkampf für die Wiederwahl Merkels gemacht. Ergebnis war ein die CSU schockierender Absturz auf 38,8 Prozent. Unter diesem Eindruck holten CDU und CSU vor allen Sondierungen nach, was sie schon vor der Wahl hätten machen sollen: eine Verständigung auf eine gemeinsame Position zu Flucht und Migration. Damit brachte Seehofer den ersten Nachweis, die CDU verschoben zu haben.

Damit vergrößerte sich jedoch zugleich die Notwendigkeit, als CSU vor der bayerischen Landtagswahl Mitte Oktober eigenes Profil zu zeigen. Das beginnt damit, mit eigenen Persönlichkeiten Wahrnehmung jenseits von Merkel zu entfachen. Das ist Seehofer mit dem Anstoßen einer neuen Islam-Debatte gelungen. Merkel half ihm auch noch, indem sie ihre eigene Position wiederholte, wonach der Islam inzwischen sehr wohl Teil Deutschlands geworden sei. Im Rahmen der CSU-Strategie bedeutet das keine Schwächung der mühsam gefundenen Unions-Positionierung, sondern eine Stärkung von Seehofer als erkennbarer und eigenständiger Größe der Bundespolitik.

Bereits bei der Jahresauftaktklausur der CSU in Kloster Seeon hatte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Strategie durchblicken lassen, das Feld der demokratischen Rechten stärker zu beackern. Er rief die "konservative Revolution" aus und bestärkte das dort beheimatete bürgerliche Publikum in seinen Aversionen gegen die rot-grünen Glaubenssätze der 68er-Generation.

Aber auch im Wettstreit der Führungspersönlichkeiten der CSU ist der Islam-Satz bezeichnend. Seehofer konnte nicht überrascht davon sein, welche Wucht seine Äußerung haben würde. Dass er sie punktgenau auf den Tag der Ministerpräsidentenwahl seines langjährigen Rivalen Markus Söder platzierte, mag seinen Anspruch unterstreichen, auch in Zeiten Söders, mindestens aber bis zur bayerischen Landtagswahl, tonangebend zu bleiben. Formal orientierte er sich an dem differenzierten Vorgehen seiner Vorgänger, indem er zwischen dem Islam und den hier lebenden Muslimen als Teil Deutschlands unterschied. Mit der Ergänzung, diese dürften nur "mit" und nicht "neben" oder "gegen uns" leben, ließ er jedoch keinen Zweifel an seiner Stoßrichtung. Und an seiner Absicht, den Spielraum für demokratisch legitimierte Parteien rechts der Union zu verkleinern.

Dieses Vermächtnis des christsozialen Idols Franz Josef Strauß wurde unter Horst Seehofer vernachlässigt. Dieser Seehofer will nicht abtreten, ohne es wiederbelebt zu haben.

(may-)
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