Seehofer und Tschechen klammern Vergangenheit aus

Bayern und Tschechien haben die politische Eiszeit beendet. Seit Jahrzehnten hatte es wegen der Vertreibung der Sudetendeutschen Missstimmung gegeben. Als erster bayerischer Ministerpräsident traf sich Horst Seehofer (CSU) gestern mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Petr Necas zu politischen Gesprächen. Danach erklärten beide, trotz unterschiedlicher Auffassungen über die Vergangenheit gemeinsam in die Zukunft schauen zu wollen.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren auf Grundlage der Benes-Dekrete etwa drei Millionen Sudetendeutsche aus Gebieten des heutigen Tschechien vertrieben worden; ein großer Teil von ihnen fand in Bayern eine neue Heimat. Seither vertraten alle bayerischen Ministerpräsidenten die Auffassung, für eine Normalisierung des Verhältnisses der Nachbarn müssten die Benes-Dekrete zurückgenommen werden. Seehofer warb seit Längerem unabhängig vom Fortbestand der Dekrete um eine Einladung nach Prag, um das Verhältnis zu entspannen.

Der bayerische Ministerpräsident sagte nach dem Vier-Augen-Gespräch mit Necas: "Auf diese Begegnung haben wir lange gewartet". Es habe sich um eine "freundschaftliche und vertrauensvolle Unterredung" gehandelt. Dennoch sei beiden bewusst, "dass es nach wie vor Fragen gibt, in denen es unterschiedliche Auffassungen gibt". Necas sagte, es gebe den "eindeutigen Willen", die Zusammenarbeit auf die Zukunft auszurichten.

Zu Seehofers Delegation zählte auch der oberste Repräsentant der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der CSU-Europaparlamentarier Bernd Posselt. Zu einer Begegnung zwischen Posselt und Necas kam es allerdings nicht. Sowohl Seehofer als auch Necas begründeten dies damit, dass nur ein Treffen der beiden Regierungschefs geplant gewesen sei. Der Besuch in Prag sei eine wichtige "vertrauensbildende Maßnahme", sagte die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach. Denn wenn jetzt miteinander über die Alltagsprobleme gesprochen werde, könne man an einen Punkt gelangen, an dem auch "über Dinge geredet wird, die noch nicht aufgearbeitet sind".

Trotz politischer Differenzen – auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene arbeiten Bayern und Tschechen schon seit Langem eng zusammen. Ein neues Projekt ist eine Modernisierung der Bahntrasse Prag-München. Wegen der schlechten Bahnverbindung gibt es nur wenige durchgehende Fahrten. Wann zu welchen Kosten die Modernisierung erfolgen soll, ließen beide Seiten offen. Außerdem sollen die Bundesstraßen B85/B20 in der Grenzregion ausgebaut werden. Die tschechische Seite sagte Bayern zu, alle Informationen über den Ausbau des Kernkraftwerks Temelin weiterzugeben. Bayern versprach, die Personenkontrollen im Grenzgebiet zu überprüfen.

(Rheinische Post)
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