Neue Machtoptionen für Union und Öko-Partei Schwarz-Grün - Modell für den Bund
Berlin · Wie konnte es zum ersten Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen in einem Flächenland kommen? Und warum hat das Modell Hessen für beide Parteien über das Land und das Jahr hinaus große Bedeutung? Eine Analyse.
Als hätte sich ein geheimnisvoller vorweihnachtlicher Frieden über das Land gelegt, kommen zum Ende des Wahlkampfjahres die erbittertsten Gegner aus den Gräben des politischen Schlachtfeldes, um Versöhnung zu zelebrieren. Nachdem schon die SPD von CDU-Chefin Angela Merkel geradezu begeistert ist, finden in Hessen nun auch Union und Grüne zu einer bemerkenswerten Partnerschaft.
Die seit den gewaltsamen Kämpfen um die Startbahn West des Frankfurter Flughafens gestählte Feindschaft löste sich bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages für fünf Jahre Schwarz-Grün in Hessen in pures Wohlgefallen auf.
Eigentlich zementierte Gegnerschaft
Eigentlich schien die "Startbahn West" Symbol für zementierte Gegnerschaft zu sein. Was in den 80er Jahren der Widerstand gegen die Erweiterung war, setzte sich bis heute im Kampf gegen den Fluglärm fort: Jobmotor Flugdrehkreuz gegen Recht auf Ruhe.
Insofern steht die neue Sprache von Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir ebenfalls symbolisch für das neue Hessen-Modell: Die "legitimen Interessen des Flughafens an Wettbewerbsfähigkeit" würden mit den "legitimen Interessen der Bürgerinnen und Bürger" in einen "neuen Ausgleich" gebracht. So formulierte es der künftige Vize-Ministerpräsident, der als Wirtschaftsminister auch für den Flughafen verantwortlich sein wird.
CDU und Grüne in Hessen haben einen weiten Weg hinter sich, lieferten sie doch als extrem konservative Christdemokraten auf der einen und extrem ideologische Grüne auf der anderen Seite mit leidenschaftlicher Begeisterung immer neue Feindbilder füreinander.
Auf einmal Gemeinsamkeiten
Zwar führte Hessens CDU-Chef Volker Bouffier den Grund fürs Bündnis offiziell darauf zurück, dass man mehr auf Werte als auf Strukturen geachtet habe und deshalb viele Gemeinsamkeiten entdecken konnte. Doch auch in Hessen ist deutlich geworden, dass es neben den Inhalten vor allem auf die handelnden Personen ankommt.
Ohne Bouffier und Al-Wazir — sie sind konsequenterweise jetzt per Du — gäbe es schlicht keinen schwarz-grünen Koalitionsvertrag. Sie mussten Vertrauen zueinander entwickeln. Dabei ging Bouffier für einen strammen Konservativen mit jahrzehntelang eingeübten Anti-Grün-Reflexen erstaunlich weit. Schwer beeindruckt war Al-Wazir von Bouffiers internen Vorgaben für die Gespräche: Man solle "die Verhandlungen in dem Geist führen, der Andere könnte recht haben". Respekt statt Basta. Schon bei den Sondierungen in Berlin nach der Bundestagswahl hatten die Grünen die Unionspolitiker völlig neu kennengelernt, und zwar positiver, als sie es von vergangenen Verhandlungen mit dem scheinbar natürlichen Regierungspartner SPD gewohnt waren.
So verblüffte die CDU damit, mal eben die Abschaffung der Massentierhaltung in Aussicht zu stellen. Und die frühere Grünen-Chefin Claudia Roth glaubte gar zu träumen, als CSU-Chef Horst Seehofer ankündigte, in Bayern die Asylpolitik zu reformieren. Nach dem enttäuschenden 8,4-Prozent-Ergebnis machen die Grünen nun zum zweiten Mal seit 2005 die Erfahrung, dass sie in der Opposition landen, während ihr vermeintlicher Wunschpartner SPD die Seiten wechselt: "Warum sollen die mit der Union regieren dürfen und wir nicht?", sagt ein Bundestagsabgeordneter vom Realo-Flügel.
"Hessen grüner machen"
Die Antwort liegt bei Spitzenkandidat Jürgen Trittin und großen Teilen des linken Flügels. Sie hatten befürchtet, dass man mit der Option Schwarz-Grün Wähler vergraulen könnte. Erst im Licht der verlorenen Wahl setzte sich die Erkenntnis durch, dass man vor allem ohne realistische Machtoption und mit einem strammen Linkskurs viele Wähler vertrieben hatte. Inzwischen ist die Partei deshalb zum ursprünglichen Plan von Parteichef Cem Özdemir zurückgekehrt: Danach soll grüne Eigenständigkeit darauf hinauslaufen, nach jeder Wahl auszuloten, mit welchem potenziellen Partner möglichst viele eigene Inhalte verwirklicht werden können.
In Hessen beschreibt Al-Wazir das Ergebnis voller Überzeugung: Die Koalition mit der Union werde "Hessen grüner machen". Mit Bouffier seien Anliegen der Partei umzusetzen, "wofür sich die Grünen gegründet haben". Regelrecht stolz zeigt sich Al-Wazir von den Verabredungen, trotz eines harten Sparkurses die Mittel für die Bildung zu erhöhen und zum Beispiel mit der Bildungs- und Betreuungsgarantie für alle Grundschüler "etwas zu schaffen, was es bundesweit noch nicht gibt".
Damit spricht Al-Wazir die Strahlkraft des hessischen Modells über die Landesgrenzen hinaus an. Auch in Berlin redet der Parteichef Klartext: "Eine funktionierende schwarz-grüne Koalition in Hessen erweitert unsere Optionen auch anderswo", sagt Özdemir unserer Redaktion. Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) begrüßt ebenfalls ausdrücklich, dass CDU und Grüne in Hessen "alteingefahrene Gleise verlassen und bereit sind, neue Wege zu gehen". Hessen sei "schon immer Trendsetter" gewesen, wenn es um neue politische Bündnisse gehe, erklärt Kramp-Karrenbauer und verweist auf die Parallele zwischen der ersten rot-grünen Landesregierung in den 80er Jahren in einem Flächenland und der ersten schwarz-grünen.
Die Voraussetzungen für ein funktionierendes Bündnis seien gut, findet Kramp-Karrenbauer. Schließlich gebe es in Hessen bereits genügend positive Erfahrungen in der schwarz-grünen Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene. "Sowohl für die Union als auch für die Grünen eröffnen sich damit neue Bündnisoptionen", stellt das Präsidiumsmitglied der Bundes-CDU fest. Kramp-Karrenbauer: "Dies ist eine Chance, das alte politische Lagerdenken zu überwinden und neue gesellschaftliche Mehrheiten zu finden."