Schuldspruch für einen Diktator

Charles Taylor (64), der ehemalige Präsident des westafrikanischen Liberia, ist als erster Staatschef nach 1946 von einem internationalen Tribunal für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden. Das Strafmaß steht noch nicht fest.

den haag / freetown Charles Taylor galt als einer der brutalsten Kriegsherren in Afrika: ein Warlord, der für "Blutdiamanten" massenhaft morden ließ. Gestern erschien in Den Haag Liberias Ex-Diktator im dunkelblauen Maßanzug zur Urteilsverkündigung des Uno-Sondertribunals zum Bürgerkrieg in Sierra Leone.

Mit ausdrucksloser Miene und gefalteten Händen verfolgte der 64-Jährige die mehr als zweistündige Schilderung seiner Gräueltaten. Sie endeten mit einem Schuldspruch. Damit ist Taylor der erste Ex-Staatschef seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, der von einem internationalen Tribunal wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurde. Das Strafmaß steht noch aus. Ihm droht lebenslange Haft – zu verbüßen in Großbritannien.

Taylor war in elf Punkten angeklagt – darunter Mord, Folter, Vergewaltigung, sexuelle Versklavung, Einsatz von Kindersoldaten, die Terrorisierung der Bevölkerung mit systematischen Verstümmelungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Taylor hatte in allen Fällen auf nicht schuldig plädiert. Das Gericht sah dies anders. "Der Angeklagte ist wegen Beihilfe und Anstiftung zu den Verbrechen in den Fällen eins bis elf strafrechtlich verantwortlich", erklärte der Vorsitzende Richter Richard Lussik.

Nach Überzeugung des Gerichts hat Taylor als damaliger Staatschef Liberias den Krieg im Nachbarland Sierra Leone angestiftet, um sich den Zugriff auf die dortigen Diamantenvorkommen zu sichern. Während des blutigen Konflikts wurden zwischen 1991 und 2001 etwa 120 000 Menschen getötet.

Taylor habe die äußerst brutalen Rebellen der Revolutionären Vereinten Front in Sierra Leone ausgerüstet. Nach Ansicht der Richter hatte Taylor "maßgeblichen Einfluss" auf die Rebellen, auch wenn er sie nicht direkt befehligte. Laut Anklage wurde er für seine Waffenlieferungen mit Rohdiamanten ("Blutdiamanten") bezahlt. Taylor sei daher mitverantwortlich für die Verbrechen der Rebellen, die unzähligen Menschen Gliedmaßen abhackten, junge Mädchen zu Sexsklavinnen machten und Teenager zwangsweise und mit Hilfe von Drogen als Killer einsetzten. Chefanklägerin Brenda Hollis sagte in ihrem Schlussplädoyer: "Taylor und seine Rebellen waren wie Götter. Sie haben über Leben und Tod entschieden."

Taylor flüchtete 2003 nach einer Rebellion gegen ihn aus Liberia und wurde 2006 im nigerianischen Exil festgenommen. Das Verfahren wurde im Juni 2007 eröffnet. Die Anklage benannte 94 Zeugen, darunter Prominente wie die US-Schauspielerin Mia Farrow, Südafrikas Ex-Präsident Nelson Mandela und das britische Top-Model Naomi Campbell. Letztere hatte 1997 nach einem Benefiz-Dinner in Kapstadt Rohdiamanten geschenkt bekommen, die von Taylor stammen sollen. Campbell gab vor Gericht an, sie habe niemals vorher vom Land Liberia oder von "Blutdiamanten" gehört.

Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen begrüßten den Schuldspruch. "Die Tage, in denen Massenmörder und Tyrannen nach ihrer Absetzung ein Luxusleben im Ausland führen konnten, sind vorbei", sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay. In Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone, brachen spontan Tausende Menschen auf den Straßen in Jubel aus.

Viele der von den Rebellen Verstümmelten fristen heute ein elendes Leben in den Slums von Freetown, wo das Sondertribunal, seinen Hauptsitz hat – und wo es bereits acht Angeklagte als direkte Rädelsführer der Verbrechen erfolgreich verurteilt hat. Taylors Prozess war aus Sicherheitsgründen nach Den Haag verlegt worden, weil man befürchtete, dass seine Präsenz vor Ort den Versöhnungsprozess in der Region gefährden könnte.

Taylor selbst hatte sich über weite Strecken des Prozesses besser als erwartet geschlagen: Stets makellos gekleidet, war es ihm und seinem britischen Anwalt immer wieder gelungen, die Anklage zu erschüttern – und sich, wie viele Beobachter notierten, bisweilen sogar als Friedensstifter zu stilisieren. Dies dürfte auch seinen Freispruch in verschiedenen Unterpunkten erklären.

Anders als der serbische Staatschef Slobodan Milosevic hatte der rede- und weltgewandte Taylor auch voll mit dem Gericht kooperiert. Wäre Milosevic nicht 2006 während seines Verfahrens vor dem Den Haager UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien gestorben – mit großer Sicherheit wäre er und nicht Taylor der erste nach 1946 von einem internationalen Gericht verurteilte Ex-Staatschef gewesen.

(RP)
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