Kanzleramt vorab nicht eingeweiht Schröder auf Geheimmission in Moskau?

Analyse | Berlin · Versucht Gerhard Schröder, mit einem Husarenritt für den Frieden sein arg lädiertes Altkanzler-Image zu retten und seinen Duz-Freund Wladimir Putin zu Zugeständnissen im Ukraine-Krieg zu bewegen? Pikant: Weder das Kanzleramt noch die SPD-Spitze wissen von einem geplanten Treffen in Moskau.

 Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) macht von sich reden.

Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) macht von sich reden.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Ist es ein spektakulärer Alleingang des Altkanzlers und Putin-Verstehers, der in der SPD mit dem Rücken zur Wand steht und womöglich einen Parteiausschluss fürchten muss? Am Donnerstag machte eine elektrisierende Information die Runde. Wie das Nachrichtenportal „Politico“ berichtete, will der 77-jährige SPD-Politiker bei einem Treffen mit Putin in Moskau Wege für eine Deeskalation zwischen Russland und der Ukraine ausloten. Auch der Nachrichtenagentur dpa wurden entsprechende Berichte bestätigt. Am Freitag reagierte der Kreml jedoch schmallippig. „Ich habe keine Informationen zu Schröder«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Auf die Frage von Journalisten nach einem Treffen des SPD-Politikers sagte der Putin-Vertraute: „Ich kann Ihnen nichts sagen.“

Offenbar soll Schröder auf ukrainische Bitte nach Vermittlung unterwegs sein. Der Kontakt soll demnach am Freitag über den Schweizer Ringier-Verlag eingefädelt worden sein, für den der Ex-Kanzler zuletzt als Berater fungierte. Schröder sei dann zusammen mit seiner Frau Soyeon Schröder-Kim am Montag nach Istanbul geflogen.

Im Dolmabahçe-Palast habe sich Schröder mit einer ukrainischen Delegation unter der Leitung von Rustem Umerov getroffen. Der ukrainische Abgeordnete nahm an den Waffenstillstandsgesprächen mit Russland in Belarus teil. Wie „Politico“ schreibt, sei Schröder unsicher gewesen, ob Putin ihn in Moskau überhaupt empfangen würde. Die Ukrainer signalisierten dem Atkanzler wohl Verhandlungsbereitschaft über heikle Punkte einer angestrebten Nato-Mitgliedschaft, den Status der Krim und die Zukunft der Donbass-Region. Dies sollte Schröder an Putin weitergeben. Das Treffen in Istanbul sei nach etwas mehr als zwei Stunden unterbrochen worden. Auf dem Weg zum Flughafen habe Schröder dann Kontakt zu Moskau und zum Putin-Umfeld gehabt. Zehn Minuten habe der Altkanzler grünes Licht erhalten. Er sollte aber bis Mittwoch in Istanbul warten, bis ein russisches Flugzeug ihn abholen würde.

Das Ehepaar Schröder ist inzwischen in Moskau. Am Donnerstagsabend postete Frau Schröder-Kim bei Instagram ein Foto, auf dem sie in einem Hotelzimmer die Hände zum Gebet faltet, die Moskauer Basilius-Kathedrale ist im Hintergrund zu sehen. Der frühere SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel sagte der „Bild“-Zeitung zur Schröder-Aktion: „Man muss alles versuchen, selbst das.“ Ob der Besuch des Altkanzlers bei Wladimir Putin etwas bringe, werde sich zeigen, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil dem „Spiegel“. Klar sei: „Alles, was hilft, diesen grauenvollen Krieg in der Ukraine zu stoppen, ist gut.“

Sollte dies alles so abgelaufen sein, wäre das ein diplomatischer Krimi - der offensichtlich ohne das Wissen des Kanzleramtes ablief. Offizielle Bestätigungen gab es bis zum frühen Abend von keiner Seite. Schröder-Vertraute wussten von nichts, die SPD-Spitze war ahnungslos, die ukrainische Botschaft in Berlin ebenfalls. Aus Regierungskreisen verlautete, weder Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch andere Regierungsvertreter seien über einen solchen Besuch informiert worden. Scholz hatte am Donnerstag selbst erneut einen Anlauf für eine Waffenruhe unternommen. Rund eine Stunde telefonierte er gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Putin. Über Ergebnisse der Unterredung wurde nichts bekannt. Ein Treffen der russischen und ukrainischen Außenminister  im türkischen Antalya brachte keine Bewegung.

Dass Scholz Schröder um Vermittlung gebeten hat, kann ausgeschlossen werden. Für den amtierenden Bundeskanzler wäre es heikel, sollte der Putin-Vertraute aus Hannover hinter seinem Rücken Schattendiplomatie betreiben. In einem CNN-Interview am Rande seines Washington-Besuches Anfang Februar hatte Scholz klargemacht, wer auf der Weltbühne für Deutschland das Sagen habe - Schröder jedenfalls nicht: „Er spricht nicht für die Regierung. Er arbeitet nicht für die Regierung. Er ist nicht die Regierung.“

Am Donnerstagabend traf Scholz in Versailles bei Paris ein, wo ein EU-Gipfel stattfindet. Einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine lehnte der Kanzler weiter ab. „Es ist ganz wichtig, dass wir die Dinge, die wir ja auch in der Vergangenheit beschlossen haben, weiter verfolgen.“ Die Schröder-Reise wollte er auf Nachfrage von Reportern nicht kommentieren.

Erst vergangene Woche verlangte Scholz dann von Schröder, seine lukrativen Aufsichtsratsmandate beim Pipeline-Betreiber Nord Stream und dem russischen Ölriesen Rosneft abzugeben. „Ich finde nicht richtig, dass Gerhard Schröder diese Ämter wahrnimmt und ich glaube auch, dass es richtig wäre, er würde sie niederlegen“, sagte Scholz.

Auch die Partei erhöhte sukzessive den Druck. Am Wochenende war ein Brief der SPD-Vorsitzenden Klingbeil und Saskia Esken bekannt geworden. „Handle und sage klare Worte“, heißt es darin. Angesichts des Kriegs in der Ukraine gehe es jetzt darum, „unmissverständlich sich auch gegen das kriegerische Handeln von Präsident Putin zu stellen“. Acht ehemalige SPD-Chefs haben ebenfalls unterschrieben.

In der Partei steht Schröder, der einst für sein Nein zum Irak-Krieg gefeiert wurde, mit dem Rücken zur Wand. Seine gesamte Berliner Büromannschaft stellte aus Protest die Arbeit für ihn ein. Selbst engste Vertraute sollen keinen Draht mehr zu ihm haben. Einzelne Verbände haben einen Parteiausschluss ins Spiel gebracht. Die Stadt Hannover will ihm die Ehrenbürgerwürde aberkennen, sollte er sich nicht von Putin abwenden. Würde Schröder in Moskau nun tatsächlich substanzielle Fortschritte hinsichtlich einer Waffenruhe oder sicherer Korridore für ukrainische Flüchtlinge aus den von russischen Truppen umzingelten Großstädten erreichen, könnte der viel gescholtene Sozialdemokrat plötzlich wieder in einem milderen Licht dastehen.

(tb)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort