Glasgow Schottlands Fahrplan zur Unabhängigkeit

Glasgow · Ein knappes Jahr vor der Volksabstimmung über die Abspaltung der Schotten ist ein Weißbuch veröffentlicht worden. Premier Salmond will damit die Debatte ankurbeln. Ausschlaggebend dürfte bei dem Votum die Arbeiterklasse sein.

Es ist nicht nur ein Weißbuch, sondern gleich eine ganze Enzyklopädie: "Schottlands Zukunft", gestern von der schottischen Regionalregierung veröffentlicht, ist ein 670 Seiten starker Band, der versucht, 650 Fragen zu beantworten für den Fall, dass sich Schottland von Großbritannien trennen sollte. Für den Herbst nächsten Jahres ist die Volksabstimmung über die nationale Unabhängigkeit angesetzt. Das Weißbuch, das Ministerpräsident Alex Salmond in Glasgow vorstellte, wirbt mit aller Leidenschaft für den Alleingang. "Ich will", sagte Salmond, "dass jedermann dieses Weißbuch liest. Schottlands Zukunft liegt jetzt in schottischen Händen."

Seitdem Alex Salmond, Chef der sozialdemokratisch ausgerichteten Scottish National Party (SNP), vor rund zwei Jahren mit absoluter Mehrheit die Wahlen gewinnen konnte, steht das Thema Unabhängigkeit zur Debatte. Genauso lang bekämpft das britische Establishment den nationalen Alleingang. Regierung und Opposition in London sprachen sich ebenso dagegen aus wie alle wesentlichen Parteien in Schottland selbst – außer der SNP. Beim Aufbau einer Drohkulisse half sogar EU-Kommissionschef José Manuel Barroso, als er betonte, dass ein unabhängiges Schottland nicht erwarten könne, automatisch Mitglied der EU zu sein. Und der britische Schatzkanzler George Osborne warnte, eine englisch-schottische Währungsunion sei "äußerst unwahrscheinlich".

Um diesen und anderen Fragen zu begegnen, hat Salmond jetzt das Weißbuch vorgelegt. Sein zentrales Argument für die Unabhängigkeit: Sie würde eine "demokratischere, wohlhabendere und gerechtere Gesellschaft" schaffen, indem Entscheidungen, die Schottland betreffen, nicht mehr im fernen London getroffen werden: "Dann können wir unser Wirtschaftswachstum ankurbeln, die Bevölkerungszahl vergrößern und Schottlands Reichtum gerecht verteilen." Salmond geht davon aus, dass man das Pfund behalten wird, weil es "ebenso zu Schottland wie zu England gehört" und eine Währungsunion auch im Interesse Englands wäre.

Das Weißbuch soll über die nächsten zehn Monate die Debatten begleiten und informieren. Und es gibt eine Menge zu debattieren: Wie sollen die Ölreserven in der Nordsee aufgeteilt werden? Wie verrechnet man die Staatsschulden? Was geschieht mit den Streitkräften? Noch ist kein klarer Sieger im Meinungsstreit auszumachen. Zwar tendiert eine Mehrheit, rund 47 Prozent, für den Verbleib in der Union, aber 15 Prozent der Schotten sind noch unentschieden. Man vermutet, dass den Ausschlag die Stimme der Arbeiterklasse geben wird, die sich auf die Unabhängigkeit einlassen würde, wenn damit keine wirtschaftlichen Nachteile verbunden wären.

Am 18. September 2014 werden die Schotten ihr Referendum abhalten. Alex Salmond hofft, dass dann das Land von einer Welle nationaler Begeisterung erfasst wird. Zum einen jährt sich im Sommer 2014 die Schlacht von Bannockburn, in der vor 700 Jahren Robert the Bruce die dreimal größere Armee des englischen Königs Edward II. schlagen konnte. Zum anderen finden in Glasgow die Commonwealth Games statt, sozusagen die Olympischen Spiele des Staatenverbundes, was ebenfalls für einen Schub Nationalstolz sorgen soll. Sollte sich das Land für den Alleingang entscheiden, ist laut Weißbuch auch schon der "Independence Day" bestimmt: Am 24. März 2016 soll das Land unabhängig werden. Ein symbolisches Datum: Es wäre der Tag, an dem sich die Vereinigung der schottischen und englischen Krone (1603) sowie die Union beider Parlamente (1707) jähren.

(RP)
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