Analyse Schäubles ausgeglichener Rekord-Etat

Berlin · Die Neuverschuldung des Bundes soll im laufenden Jahr auf 6,5 Milliarden Euro und 2015 auf null sinken. Trotzdem können viele Minister mehr ausgeben. Das gelingt nur dank guter Konjunktur und prall gefüllter Sozialkassen.

Werner Gatzer ist im Bundesfinanzministerium so etwas wie die graue Eminenz des Haushalts, obwohl er mit seinen 55 Jahren noch gar kein biblisches Alter erreicht hat. Der Haushalts-Staatssekretär mit SPD-Parteibuch hat in den vergangenen neun Jahren schon drei Finanzministern gedient. Vor Schäuble waren auch schon dessen SPD-Vorgänger Hans Eichel und Peer Steinbrück auf Gatzers Geschick beim Zahlenjonglieren angewiesen.

Nun hat der Mann aus Bergisch Gladbach dem badischen CDU-Politiker Schäuble den Gefallen getan, ein Kunststück zu vollbringen: Er hat einen Finanzplan für die Jahre bis 2018 zusammengestrickt, der von 2015 an keine neuen Schulden mehr vorsieht – obwohl die große Koalition zugleich in dieser Legislaturperiode 23 Milliarden Euro zusätzlich für Investitionen in Bildung und Verkehr sowie für die Entlastung von Ländern und Kommunen ausgeben will. Gatzers Zahlenwerk, das unserer Zeitung vorliegt, wird heute im Kabinett verabschiedet. Schäuble will es anschließend in Berlin dem breiten Publikum vorstellen.

Das Anschreiben des Ministers, das der Kabinettsvorlage beiliegt, spiegelt den Stolz des Hausherren über das Gelingen der Operation. "2015 werden wir zum ersten Mal seit 46 Jahren keine neuen Schulden mehr aufnehmen – auch in allen weiteren Jahren des neuen Finanzplans kann der Bund seine Ausgaben und Einnahmen ausgleichen, ohne hierfür zusätzliche Kredite aufnehmen zu müssen", schreibt Schäuble den Kollegen. "Aufbauend auf den Konsolidierungserfolgen der vergangenen Jahre erreicht der Bund damit einen wichtigen haushaltspolitischen Meilenstein – auch mit Blick auf die Gerechtigkeit zwischen den Generationen."

Der Hinweis auf die Generationengerechtigkeit ist in Wahrheit ein bisschen schief: Denn die Nullverschuldung im Haushalt, so sehr sie im Interesse der künftigen Generationen ist, gelingt doch nur, weil sich die Koalition zur Finanzierung ihres Rentenpakets und anderer Ausgabenprojekte in den prall gefüllten Kassen der Renten- und Krankenversicherung bedient – vor allem zulasten der Jüngeren. Für die Erhöhung der Renten der älteren Mütter, der Erwerbsgeminderten und zur Finanzierung der abschlagsfreien Rente mit 63 wird die Rentenkasse herangezogen, deren Reserve die Koalition bis 2017 komplett verfrühstücken möchte, und nicht der Bundeshaushalt. Auch kürzt die Koalition 2014 und 2015 die bisher geplanten Zuschüsse aus dem Etat für die Krankenkassen um sieben Milliarden Euro, weil der Gesundheitsfonds ebenfalls gut gefüllt ist.

Mit dem Griff in die Sozialkassen, einigen geheimnisvollen "Planungsreserven" und zusätzlichen Steuereinnahmen, die wegen der guten Konjunktur im geringen Umfang zu erwarten sind, bringt Gatzer nun das Kunststück fertig, dass sich fast alle Minister trotz des allgemeinen Sparkurses wie kleine Sieger fühlen dürfen. Am deutlichsten wird dies beim Verkehrsminister. Alexander Dobrindt (CSU) erhält im laufenden Jahr 505 Millionen Euro und 2015 eine glatte weitere Milliarde Euro zusätzlich für Verkehrsinvestitionen, wie aus dem "Eckwertebeschluss der Bundesregierung zum Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2015 und zum Finanzplan 2014 bis 2018" hervorgeht. 2016 bekommt er demnach weitere 1,4 Milliarden und 2017 knapp 2,1 Milliarden Euro mehr für Verkehrsinvestitionen.

"Dadurch können die klassischen Verkehrsinvestitionen (Straße, Schiene, Wasserstraße, Kombinierter Verkehr) deutlich erhöht werden. Sie steigen von rund 10,5 Milliarden Euro 2014 auf rund 11,0 Milliarden Euro 2015; für 2016 sind rund 11,6 Milliarden Euro und für 2017 rund 12,1 Milliarden Euro vorgesehen", heißt es in der Kabinettsvorlage. Schäuble setzt damit nicht allein den Koalitionsvertrag um, in dem fünf Milliarden Euro mehr für den Verkehr bis 2017 vereinbart wurden. Denn auch nach Ende der Wahlperiode sollen für den Verkehr noch zusätzliche Investitionsmittel zur Verfügung stehen. "Für 2018 werden zur Fortführung zusätzlicher Investitionen im Bereich der Verkehrsinfrastruktur insgesamt 1,65 Milliarden Euro zusätzlich gegenüber den bisherigen Planungen bereitgestellt", heißt es in der Kabinettsvorlage.

Auch Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) darf sich als Siegerin sehen – ihr Etat wird über die gesamte Periode mit knapp 14 Milliarden Euro fortgeschrieben. Darüber hinaus wird Wanka noch einen Teil der neun Milliarden Euro erhalten, die man bis 2017 zusätzlich für Bildung, Forschung und Kitas ausgeben will. Die neun Milliarden Euro hat Schäuble vorerst bei sich geparkt, weil die Bundesregierung noch mit den Ländern klären muss, wann und wohin genau das Geld fließen soll.

Mehr Geld bekommen auch Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), weil die Regierung versprochen hatte, die deutsche Entwicklungshilfe aufzustocken. Für die Entwicklungshilfe werden laut Kabinettsvorlage in diesem Jahr 200 Millionen Euro zusätzlich, 2015 weitere 400 Millionen und ab 2016 jeweils 700 Millionen Euro mehr als bisher ausgegeben. Mehr Geld bekommt auch Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) für die Städtebauförderung – und zwar 83 Millionen 2015 und weitere 967 Millionen bis einschließlich 2018. Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) darf 2015 eine Ausgabensteigerung von 1,1 Milliarden Euro gegenüber dem bisherigen Finanzplan verbuchen, weil sein Ministerium um die Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien erweitert wurde, heißt es in der Kabinettsvorlage.

Schäuble wird wohl 2015 der erste Finanzminister seit Franz Josef Strauß (CSU) 1969 sein, dem der Etatausgleich gelingt – wenn nicht wieder eine Finanzkrise oder eine Flut dazwischenkommt. Bedanken darf er sich dann bei seinem treuen Staatssekretär Gatzer.

(mar)
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