Sarrazins Thesen im Faktencheck

Der ehemalige Berliner Finanzsenator und heutige Bundesbanker stellt eine Fülle von Thesen zum Thema Migration und Bevölkerungsentwicklung auf. Unsere Zeitung hat nachgeprüft, wie gut einige belegt sind.

düsseldorf (gev/hüw/kpk/rom) Selten hat ein Buch noch vor seinem Erscheinen eine solche Kontroverse ausgelöst wie Thilo Sarrazins "Deutschland schafft sich ab". Ein Grund hierfür sind Thesen wie die in Kapitel 7. Sarrazin schreibt dort, dass der Anteil der angeborenen Behinderungen unter den türkischen und kurdischen Migranten überdurchschnittlich hoch sei, weil ganze Clans "eine lange Tradition von Inzucht" hätten. Er beruft sich dabei als Quelle auf einen einzigen "Spiegel"-Artikel. Weder im Statistischen Bundesamt, noch im Gesundheitsministerium oder beim Sozialverband VdK sind Daten verfügbar, die diese These stützen könnten. Der Versuch, einige andere Aussagen zu überprüfen:

Sarrazin "Beim gegenwärtigen demografischen Trend wird Deutschland in 100 Jahren noch 25 Millionen, in 200 Jahren noch 8 Millionen und in 300 Jahren noch 3 Millionen Einwohner haben."

Check Die Prognosen des Statistischen Bundesamtes reichen lediglich bis zum Jahr 2060 und sagen voraus, dass die mittlere Bevölkerungsdichte von rund 81,5 Millionen auf etwa 64,7 Millionen sinken könnte. Darüberhinausgehende Schätzungen seien kaum tragfähig, heißt es in dem Amt, dazu hänge die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung von zu vielen nicht absehbaren politischen und wirtschaftlichen Faktoren ab.

Sarrazin "Das Realeinkommen des einzelnen Erwerbstätigen steigt schon seit 20 Jahren nicht mehr, spätestens in zehn Jahren wird es sinken, und das wird infolge der demografischen Verschiebungen ein nachhaltiger Trend sein."

Check: Holger Sandte, Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung bei der WestLB, sieht bei der Entwicklung in der Vergangenheit einen flachen Aufwärtstrend. Eine Prognose für die nächsten zehn Jahre hält er für gewagt: "Für uns ist bereits eine Voraussage über ein Jahr langfristig." Sarrazins These sei "prächtig zum Diskutieren", meint Sandte, aber nur schwer zu belegen.

Sarrazin "Relativ zur Erwerbsbevölkerung leben bei den muslimischen Migranten viermal so viel Menschen von Arbeitslosengeld und Hartz IV wie bei der deutschen Bevölkerung."

Check Ilona Mirtschin von der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg fragt sich, wie der Buchautor die Unterscheidung nach Religionszugehörigkeit getroffen hat. Die BA darf aus Datenschutzgründen nicht nach dem Bekenntnis fragen. Derzeit erhalten nach BA-Angaben 8,3 Prozent der Deutschen Hilfen und 17,3 Prozent der Ausländer.

Sarrazin Die bei muslimischen Migranten vorherrschenden Großfamilien profitieren davon, dass der Umfang der Sozialleistungen (...) mit der Kopfzahl der Haushaltsmitglieder steigt. (...) Durch die Größe kommen sie häufig auf Transferzahlungen von 3000 Euro und mehr im Monat."

Check Das NRW-Sozialministerium bestätigt die Höhe des Anspruchs und nennt zwei Beispiele: Eine Familie mit sechs Kindern (zwei unter fünf Jahre, zwei bis 13 Jahre, zwei über 14) bezieht Regelleistungen von 2152 Euro und 848 Euro Wohngeld. Eine nur sechsköpfige Familie, aber mit älteren Kindern, hat Anspruch auf 1797 Euro Regelleistungen und kann in einer Stadt mit hohen Mieten 1203 Euro Wohngeld beziehen.

Sarrazin "In Berlin werden 20 Prozent aller Gewalttaten von nur 1000 türkischen und arabischen jugendlichen Tätern begangen."

Check Die Kriminalstatistik sagt, dass im vergangenen Jahr 34,2 Prozent der Gewalttäter in Berlin Nichtdeutsche waren. Bei den Straftaten insgesamt liegt ihr Anteil bei 31,5 Prozent. Bei Jugendlichen liegt der Anteil der ausländischen Straftäter bei 30,6 Prozent.

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