Radikale Muslime in Deutschland Salafisten sehen sich als Auserwählte

Düsseldorf · Sie verteilen Korane, gehen auf Polizeibeamte los und lassen keine anderen Meinungen gelten. Die Salafisten, eine radikale Minderheit der Muslime, hält die deutsche Öffentlichkeit in Atem. Politiker fordern ein Verbot.

Fakten zum Salafismus in Deutschland
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Foto: afp, FETHI BELAID

Experten halten davon wenig.

Das Ausmaß der Gewaltbereitschaft schockierte selbst die Polizei. Zu den islamfeindlichen Kundgebungen der rechtsradikalen Gruppierung ProNRW hatten einige der radikalen Muslime Latten, Messer und Steinschleudern mitgebracht. In Solingen und Bonn griffen sie damit Polizisten an. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Bei den Sicherheitsbehörden ist angesichts der Gewalt von einem Dammbruch die Rede.

Nach allem, was man bisher weiß, waren die Ausschreitungen geplant. Organisiert hatten sich die jungen Radikalen über soziale Netzwerke im Internet. Zum Teil sollen sie mit eigens gemieteten Bussen zu den Demonstrationsorten herangekarrt worden sein.

Die Muslime in Deutschland verfolgen die Eskalation mit Unbehagen. Im April legte die Islamkonferenz zusammen mit Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Wert darauf, sich klar von den Salafisten zu distanzieren. "Wenn die Salafisten gegen die freiheitliche Grundordnung verstoßen, dann müssen sie verboten werden", sagte etwa Kenan Kolat, Chef der Türkischen Gemeinde.

Darauf laufen nun auch verschärft die Forderungen deutscher Politiker hinaus. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will Verbote von Vereinen und eine Ausweisung aus Deutschland prüfen. "Wir werden uns das nicht gefallen lassen, dass gewaltbereite Salafisten den Frieden im Lande stören", sagte er am Mittwoch im ARD-"Morgenmagazin". "Wir werden natürlich auch jede Möglichkeit prüfen, Vereine, in denen sie organisiert sind, zu verbieten." Auch SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann forderte ein hartes Vorgehen gegen gewaltbereite Salafisten.

Der CSU-Politiker hatte zuvor im Gespräch mit unserer Redaktion bereits den Ton verschärft. Deutschland werde sich keine Religionskriege aufzwingen lassen, weder von radikalen Salafisten noch von extremen Parteien. Ohne Frage hätten die Salafisten eine ideologische Nähe zum Terrornetzwerk Al Qaida.

Friedrich geht von rund 4000 Salafisten in Deutschland aus. "Nicht alle sind unmittelbar und immer sofort gewalttätig, aber wie schnell das geht, hat man, glaube ich, in Bonn gesehen", sagte Friedrich weiter. Dort waren am Samstag 29 Polizisten von Salafisten verletzt worden. Zwei Beamte erlitten Messerstiche. Gegen einen Salafisten wird wegen dreifachen versuchten Polizistenmordes ermittelt.

Dass die Salafisten im Kern verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, daran besteht kein Zweifel. Sie lehnen westliche Demokratien ab und sehen eine "islamische Ordnung" mit islamischer Rechtsprechung (Scharia) als einzig legitime Staats- und Gesellschaftsform an.

Stattdessen vertreten sie einen rückwärtsgewandten Ur-Islam. Sie lehnen jede theologische Modernisierung ab. Ihr Vorbild sind die "Vorfahren", arabisch "salaf", der ersten drei Generationen von Muslimen. Sie lebten nach Meinung der Salafisten den "reinen Islam" der Frühzeit während und kurz nach den Offenbarungen Mohammeds.

Diesen vermeintlichen Idealzustand des 7. Jahrhunderts wollen die Salafisten konservieren; sie imitieren ihn bis hin zu Barttracht, Bekleidung und Alltagsgewohnheiten wie der Benutzung des Zahnputzholzes. Ähnliche fundamentalistische Strömungen gab es während der islamischen Geschichte immer wieder. Seit dem 19. Jahrhundert erlebte der Salafismus mit den Herausforderungen durch den Westen eine Renaissance.

Der salafistische Islam ist geprägt von einem buchstabengetreuen Koranverständnis und Intoleranz gegenüber anderen Denkweisen. Die Salafisten lehnen auch die sunnitisch-orthodoxe Theologie und die islamischen Rechtsschulen ab, weil sie unzulässige Neuerungen in den Islam gebracht und zur Spaltung der Muslime beigetragen hätten.

Selbst einen Großteil der unter Orthodoxen gültigen Prophetenüberlieferungen verwerfen sie als nicht authentisch. Ein Teil der Salafisten ist zwar gegen Gewalt zur Durchsetzung eines Gottesstaates, allerdings existiert unverkennbar ein dschihadistischer Flügel mit Verbindungen zur islamistischen Terrorszene. Er ist es, der sich in Solingen, Bonn und Köln in Szene setzte

In Deutschland ist der Salafismus laut Verfassungsschutz die dynamischste islamistische Bewegung. Schätzungen zufolge gibt es bis zu 5000 Salafisten und mehrere Dutzend salafistisch dominierte Moscheen. Dabei nutzt die Bewegung vor allem das Internet für Eigenwerbung. Dort wird in Videos und sozialen Netzwerken das Bild einer verschworenen Gemeinschaft gepflegt, in denen sie sich als die Vertreter des gesamten, des reinen Islam ausgeben.

Darauf springen vor allem junge Erwachsene an. "Die Aktivisten unter den Salafisten sind meistens Jugendliche und junge Männer zwischen 15 und 35 Jahren", erläutert der Islamwissenschaftler Jochen Müller zeit.de. In der Strömung seien überproportional viele Konvertiten vertreten. Sie fühlen sich angezogen von den klaren Wert-Orientierungen, die der Salafismus anbietet. Er ermöglicht ihnen ein Selbstverständnis, als Auserwählte einen Kampf des Guten gegen das Böse zu führen.

Auch deswegen warnen etwa die Grünen vor generellen Verboten. Drohungen und Repressionen könnten ihrer Einschätzung nach die Salafisten nur noch stärker zusammenschweißen. Ein Teil der Salafisten seien aber junge Muslime, die ideologisch nicht verhärtet seien, sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck am Mittwoch in Berlin. Ausschreitungen wie in Bonn müsse zwar mit der Härte des Gesetzes begegnet werden. "Aber wir müssen uns auch mit Jugendarbeit und mit Leuten um sie kümmern, die sich der Debatte mit ihnen stellen," hielt Beck Innenminister Friedrich entgegen.

Auch Experte Müller hält Verbote für wenig hilfreich und verweist auf die juristischen Hürden. So reicht es nicht, festzustellen, dass einzelne radikale Prediger in einer Moschee auftreten. Um einen Verein verbieten zu können, muss vielmehr bewiesen werden, dass Straftaten von ihm ausgehen — eine Aufgabe, die den Einsatz von V-Leuten oder Lauschangriffe erfordern würde.

Dass auch Ausweisungen rechtlich Schwierigkeiten mit sich bringen, räumte am Mittwoch auch Friedrich ein. Diese sei nur im Einzelfall zu prüfen, sagte Friedrich. "Natürlich können Sie unter bestimmten Voraussetzungen Kriminelle, Verurteilte, Gewalttäter, Verbrecher aus Deutschland ausweisen", so der Innenminister. Man könne jedoch niemandem eine Staatsbürgerschaft entziehen, wenn er keine andere habe, das sei ein Grundprinzip. Man werde aber "alle Spielräume, die unser Rechtsstaat lässt, auch nutzen."

Experte Müller setzt wie der Grüne Beck stattdessen auf Aufklärung. Man müsse in Schulen und Jugendeinrichtungen für den Salafismus sensibilisieren und die Jugendlichen gegen einfache Weltsichten immunisieren. Muslimische Einrichtungen sieht er hierbei besonders in der Pflicht. Sie sollten die Gelegenheit nutzen und den klarstellen: 'Ihr Salafisten seid nicht wir, ihr seid nicht der Islam.'

(pst)
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