Moskau Russische Korruption und Willkür vergraulen Investoren

Moskau · Vor dem Hintergrund schlechter Wirtschaftsnachrichten aus den USA und Europa erscheint Russland momentan wirtschaftlich wie eine Insel der Seligen. Die Wirtschaft wuchs zwischen Januar und Oktober um 3,7 Prozent. Das ist zwar deutlich weniger als noch vor zehn Jahren – damals betrug die Wachstumsrate sieben Prozent. Doch der Rückgang ist geringer als in Ländern wie Brasilien, China und Indien. Die russische Auslandsverschuldung beträgt nur zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Inflationsrate sank 2012 auf sechs Prozent.

Trotzdem sehen Experten die Perspektiven nicht rosig, und schuld ist vor allem die Politik. Ein alarmierendes Zeichen ist der verstärkte Kapitalabfluss. Er setzte ein, nachdem im September 2011 Präsident Dmitri Medwedew und sein damaliger Premier Wladimir Putin bekannt gegeben hatten, dass Putin bei der Präsidentenwahl 2012 antreten würde und beide Politiker anschließend ihre Ämter tauschen. Die Aussicht auf eine Rückkehr Putins ins oberste Staatsamt ließ die schwache Hoffnung auf Reformen, die sich mit Medwedew verband, endgültig schwinden. Mittlerweile rechnet das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung für 2012 mit einem Kapitalabfluss von 73 bis 75 Milliarden Dollar.

Das Investitionsklima in Russland ist gestört durch wachsende Korruption, anti-westliche Töne der Führung, das harte Vorgehen gegen die Opposition und den Einsatz der Justiz als Mittel zur Bekämpfung politischer Gegner. Im Korruptionsindex von Transparency International konnte sich Russland 2012 zwar im Vergleich zum Vorjahr leicht verbessern: Es stieg von Platz 143 auf 133 (je höher die Zahl, desto korrupter). Doch damit teilt sich das Riesenreich immer noch einen Platz mit Ländern wie Honduras, dem Iran und Kasachstan.

Der Russland-Experte und Ökonom Anders Åslund verweist aber darauf, wie sich die Qualität der Korruption in Russland in den vergangenen Jahren verändert habe. Während die Zahl der Bestechungsgelder insgesamt sinke, steige die Höhe der Beträge. Immer häufiger trage die Korruption einfach den Charakter der Erpressung: "In Russland gibt es Menschen, die Geld nur aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position fordern, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen."

Beliebt ist das System des "Otkat", auf Deutsch: Rückstoß. Erhält ein Unternehmen den Zuschlag für einen staatlichen Auftrag, dann ist im Volumen schon ein beträchtlicher Betrag eingepreist, den der darüber entscheidende Beamte für sich behält. Die hauptsächlich an persönlicher Bereicherung interessierten Staatsdiener vernachlässigen ihre eigentlichen Aufgaben. Ein Beispiel: Seit 1994 ist das Fernstraßennetz in Russland nicht erweitert worden – die Zahl der Autos hat sich in diesem Zeitraum verdreifacht.

Jüngst sorgten mehrere Korruptionsskandale für Schlagzeilen. Putin entließ Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow, entsprechende Vorwürfe gibt es auch gegen Ex-Landwirtschaftsministerin Elena Skrinnik und den Chef des Satellitensystems Glonass. Doch ist dies lediglich eine Inszenierung des Kampfes gegen die Korruption. Denn seit Jahren funktioniert das System Putin so: Wer zum Kremlchef loyal ist, darf sich dafür auf seinem Posten unbehelligt die Taschen füllen.

(hei)
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