Analyse Rösler bittet die FDP um Fairness

Stuttgart · Nach Wochen der Häme und der Kritik reagiert FDP-Chef Philipp Rösler beim Dreikönigstreffen mit einem nachdenklichen, inhaltlich starken Plädoyer für die Freiheit. Minister Dirk Niebels Putsch-Plan verpufft vorerst.

Selbst der Hinduismus musste an diesem Sonntag in Stuttgart herhalten, um die aufgewühlte FDP zu beruhigen. "Hilf anderen über den Fluss. Und siehe, auch du erreichst das Ufer", zitierte der baden-württembergische Fraktionschef Ulrich Rülke eine Weisheit aus der indischen Volksreligion, um seine Parteifreunde zu Solidarität zu ermahnen. Die FDP werde nur gewählt, wenn sie sich in der Öffentlichkeit einig zeige, mahnte der Liberale. "Mehr Stil und Anstand" hatte tags zuvor schon Gesundheitsminister Daniel Bahr gefordert.

Davon war zuletzt in der Tat wenig zu sehen bei den Liberalen. Wohl nie zuvor hat sich eine Partei unmittelbar vor einer wichtigen Landtagswahl öffentlich so zerlegt wie die FDP in den ersten Tagen des Jahres 2012. Parteichef Philipp Rösler, vor knapp zwei Jahren mit 95 Prozent zum umjubelten Vorsitzenden gewählt, wird von eigenen Parteifreunden mit Häme und Kritik versehen und öffentlich infrage gestellt. Noch am Vorabend der Dreikönigskundgebung im Stuttgarter Schlosstheater hatten FDP-Politiker an der Hotelbar Wetten abgeschlossen, wie lange sich Rösler im Amt halten könne.

Dass dieser Tag nicht leicht werden würde, ahnte Philipp Rösler, etwas erkältet, schon, als er um kurz vor 11 Uhr im Foyer des Stuttgarter Staatstheaters die Sternsinger begrüßte und dann auf den Altmeister der Liberalen traf, Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Der bevorzuge FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, meldeten die Nachrichtenagenturen noch am Morgen. Zwar wurde dies später in der Parteispitze dementiert, aber sicher kann sich der FDP-Chef in diesen Tagen nicht sein, wer zu ihm steht.

Eines weiß Rösler aber spätestens seit gestern: Entwicklungsminister Dirk Niebel zählt nicht mehr zu seinen Unterstützern. Der Ex-Fallschirmjäger mit dem stattlichen Körperbau und der Rauflust hatte die Debatte über die Spitzenkandidatur Röslers ausgelöst. Nun legte er – ein Novum beim Dreikönigstreffen der Liberalen – auf offener Bühne nach. "So wie jetzt kann es mit der FDP nicht weitergehen", rief Niebel den Delegierten zu. Die Lage der Partei zerreiße ihn innerlich. Erneut forderte der Minister eine Vorverlegung des für Mai geplanten Parteitags, um Entscheidungen über die Führungsmannschaft zu treffen. Hinter Niebel auf der Bühne erstarrten die Gesichter der übrigen Präsidiumsmitglieder. Keine Hand rührte sich. Philipp Rösler schaute entgeistert. "Wir sind als Team nicht gut genug aufgestellt", legte Niebel nach.

Im Saal gab es dafür allerdings nur zaghaft Applaus. Niebel überziehe mit seinen Attacken so kurz vor einer Wahl, lautete die Analyse der meisten Liberalen. In der Sitzung des Präsidiums am Sonntagfrüh hatte Rösler Niebel direkt angesprochen und gemahnt, dass eine solche Debatte im Wahlkampf wenig hilfreich sei. Er erinnerte an die 6000 FDP-Mitglieder in Niedersachsen, die täglich für liberale Positionen eintreten würden. Diese hätten eine solche Auseinandersetzung nicht verdient. Auch Außenminister Guido Westerwelle, ein langjähriger Vertrauter Niebels, ging in seinen Einlassungen in dem Gremium auf Distanz zu den Attacken.

In seiner Rede wollte Rösler die Kämpfe der vergangenen Tage aber nicht noch anheizen. Die Passage im Redemanuskript, es gebe eine "Profilierungssucht Einzelner", blieb unausgesprochen. Rösler beließ es bei einem grundsätzlichen Appell an Fairness und Solidarität. "Zur Glaubwürdigkeit gehört, Positionen zu beziehen und Haltung zu zeigen", sagte Rösler. Glaubwürdigkeit sei aber immer auch eine Frage des Stils, der Fairness und der Solidarität. Als ein offensichtlich nicht zu den Delegierten gehörender junger Mann in den Saal lief und Rösler wüst beschimpfte, konterte der FDP-Chef schlagfertig: "Das Jahr 2013 sollte das Jahr des Anstands und der Höflichkeit werden." Die Lacher im Saal hatte Rösler auf seiner Seite.

Nachdenklich, trotz der tagelangen Kritik souverän und gelassen erarbeitete Rösler in seiner knapp einstündigen Rede ein liberales Gesellschaftsbild, das die freie Entfaltung des Einzelnen propagiert, ohne die Verantwortung eines schützenden und Rahmen setzenden Staates außer Acht zu lassen: "Wir stehen für einen Staat, der die Menschen in Ruhe lässt, aber nie im Stich." Der Staat müsse sich "bescheiden" und dürfe den Menschen "nicht in die Tasche greifen", sagte Rösler. Eindringlich warb der FDP-Chef für einen zügigen Schuldenabbau, einen ausgeglichenen Haushalt, mehr Geld für Forschung und Bildung sowie die Bürgerrechte. All das, so bilanzierte Rösler, finde man nur bei der FDP. Die Wähler stünden in diesem Jahr vor einer Auseinandersetzung zwischen Richtungen, zwischen Geisteshaltungen. Die Deutschen könnten die Frage beantworten: "Haben wir noch den Mut zur Freiheit?" Was sich SPD, Grüne, aber auch Teile der Union für die Gesellschaft wünschten, werde staatlich erzwungen, kritisierte der FDP-Chef. Das Wahlprogramm der Grünen sei nichts anderes als eine "grüne Hausordnung für eine staatliche Besserungsanstalt".

Nach Röslers Rede applaudierten die Delegierten fast drei Minuten. Stehend. Balsam für den geschundenen Parteichef. Auch Rainer Brüderle, der von vielen als Parteichef gehandelte Fraktionsvorsitzende, stellte sich an diesem Tag hinter Philipp Rösler und forderte mehr Teamspiel in der Partei.

In seiner umjubelten Rede, die gespickt war mit Angriffen auf Rot-Grün, hatte Brüderle alle Minister gelobt und auch Rösler als "Wachstums- und Entlastungsminister" bezeichnet. Seine Partei rief Brüderle zu mehr Selbstbewusstsein und Zuversicht auf. In der Koalition mit der Union könne sie eine Erfolgsbilanz ohnegleichen vorweisen. "Die FDP hat die Union besser gemacht", sagte Brüderle unter dem Jubel der Delegierten und versuchte dies etwa mit der Aussetzung der Wehrpflicht, der Nominierung von Bundespräsident Joachim Gauck und den niedrigeren Steuern und Abgaben für Arbeitnehmer und Versicherte zu belegen. Brüderle gab den Wahlkämpfer und Einpeitscher, Rösler den grundsätzlich argumentierenden Parteichef.

Fast wirkte es, als funktioniere erstmals das Tandem Rösler und Brüderle. Philipp Rösler will seinen Kritikern so schnell nicht nachgeben. Wenn die FDP am 20. Januar in Niedersachsen die Fünf-Prozent-Hürde schafft und in der Regierung bleibt, will er bleiben, wo er ist: im Amt des Vorsitzenden.

(RP)
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