Debatte um Lockdown Robert-Koch-Institut rät zu schärferen Maßnahmen

Berlin · Angesichts weiter steigender Totenzahlen werden die Rufe nach einer Ausweitung des Lockdowns lauter. Bereits in der kommenden Woche könnte es erneut Chefgespräche von Bund und Ländern geben. Die Bundesregierung lotet zudem aus, wie die Produktion von Impfstoffen vorangetrieben werden kann.

 Auf einer Covid-19-Intensivstation wird ein Patient behandelt. (Archiv)

Auf einer Covid-19-Intensivstation wird ein Patient behandelt. (Archiv)

Foto: dpa/Waltraud Grubitzsch

Die Zahl der Corona-Toten innerhalb eines Tages ist in Deutschland auf einen neuen Höchstwert gestiegen und hat die Debatte um eine Verlängerung und eine Verschärfung des Lockdowns befeuert. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Donnerstag, dass innerhalb von 24 Stunden 1244 Menschen gestorben seien, die positiv auf das Virus getestet worden waren. RKI-Chef Lothar Wieler forderte die Bevölkerung auf, Kontakte weiter einzuschränken. Es seien „Nachschärfungen" bei den Lockdown-Maßnahmen nötig, sagte er. Baden-Württembergs Landeschef Winfried Kretschmann (Grüne) plädierte dafür, die nächsten Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Regierungschefs der Länder vorzuziehen.

Bisher ist die nächste Ministerpräsidentenkonferenz für den 25. Januar geplant. Die aktuellen Lockdown-Beschränkungen gelten vorerst bis Ende Januar. Doch die Stimmen für eine Anpassung und Verlängerung mehren sich bereits, obwohl die Chefrunde von Bund und Ländern erst vor gut einer Woche zusammengekommen war. Der Grund: Die Infektionszahlen entwickeln sich nicht so wie gedacht. „Diese Maßnahmen, die wir jetzt machen - für mich ist das kein vollständiger Lockdown“, sagte RKI-Präsident Wieler. „Es gibt immer noch zu viele Ausnahmen und es wird nicht stringent durchgeführt.“ Ausgangssperren wären eine mögliche Verschärfung, oder die Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken in Bussen, Bahnen, Supermärkten. Mit Blick auf ansteckendere Mutationen des Coronavirus ergänzte Wieler: „Es besteht die Möglichkeit, dass sich die Lage noch verschlimmert.“

Diese Gefahr ist real. Bisher habe man 16 Fälle von Infizierten mit der in Großbritannien entdeckten Virus-Variante festgestellt und vier mit der in Südafrika gefundenen Mutation. Diese seien bei Einreisenden aufgetreten, sagte der RKI-Chef. Wieler räumte ein, dass man derzeit keinen vollen Überblick habe, weil nur sporadisch etwa durch eine Gensequenzierung oder bestimmte PCR-Corona-Tests nach Mutationen gesucht werde. Den Blindflug will die Bundesregierung in der kommenden Woche per Verordnung beenden. Ab dann sollen die Labore entdeckte Virus-Varianten an das RKI melden.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gab bekannt, dass mit etwa 840.000 Geimpften rund ein Prozent der deutschen Bevölkerung die erste Dosis bekommen hat. Damit sei der Weg heraus aus der Pandemie begonnen, sagte Spahn. „Gleichzeitig sind wir noch in der schwersten Phase der Pandemie.“ Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) forderte mehr Tempo beim Impfen. Es nutze nichts, wenn die Versorgung sich erst im zweiten Quartal bessere, sagte die SPD-Politikerin im ZDF.

Unterdessen teilte das Paul-Ehrlich-Institut mit, bislang zehn gemeldete Todesfälle kurz nach einer Corona-Impfung zu prüfen. Experten des Instituts halten aber einen Zusammenhang mit der Immunisierung für eher unwahrscheinlich. In diesen Fällen waren schwer kranke Menschen innerhalb von vier Tagen nach der Impfung gestorben, berichtete das für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel zuständige Bundesinstitut. „Aufgrund der Daten, die wir haben, gehen wir davon aus, dass die Patienten an ihrer Grunderkrankung gestorben sind – in zeitlich zufälligem Zusammenhang mit der Impfung“, sagte Brigitte Keller-Stanislawski, die zuständige Abteilungsleiterin für die Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten.

Die Bundesregierung lotet derzeit unter Hochdruck aus, wo in Deutschland rasch weitere Kapazitäten zur Impfstoff-Produktion ausgeschöpft werden könnten. Gesundheits-Staatssekretär Thomas Steffen hatte am 7. Januar ein entsprechendes Schreiben an die Verbände der Pharmaindustrie gesandt. Ein „Impfgipfel“ mit Unternehmensvertretern ist in der Diskussion.

Ein erster Erfolg dieser Anstrengungen wurde am Donnerstag bekannt: Zu der Ausweitung der Produktion von Corona-Impfstoffen trägt künftig ein Pharmawerk in Nordrhein-Westfalen bei. Der US-Konzern Baxter wird in seinem Werk in Halle in Westfalen den Impfstoff von Biontech und Pfizer produzieren. Baxter hat einen entsprechenden Auftrag erhalten. Der Produktionsstart soll voraussichtlich im März sein. Auch ein zweiter Impfstoff soll im westfälischen Halle hergestellt werden.

„Nach unseren Informationen werden derzeit alle Möglichkeit eruiert und genutzt, um die Produktion von Impfstoffen zu erhöhen“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller, Jörg Wieczorek, unserer Redaktion. „Es ist grundsätzlich möglich, dass die Entwickler von Impfstoffen mit anderen Unternehmen kooperieren und auch selbst Lizenzen für die Herstellung des Impfstoffs übertragen. Im äußersten Fall können auch Zwangslizenzen erteilt werden“, sagte Wieczorek. Dazu müsse es seiner Einschätzung nach aber nicht kommen.

Unterdessen hat der CDU-Wirtschaftsrat vor einer tiefen Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit gewarnt, sollte der Corona-Lockdown verschärft werden. „In der aktuellen Debatte um eine Verschärfung der Corona-Auflagen für die Betriebe und gar einen völligen Lockdown kann ich nur warnen: Wenn wie im vergangenen Frühjahr die globalen Lieferketten durch einen Lockdown erneut unterbrochen werden, droht eine tiefe Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit“, sagte die Präsidentin des Wirtschaftsrats, Astrid Hamker, unserer Redaktion. „Vor allem darf Deutschland nicht der Dominostein sein, der zuerst durch irrationale Aktionen kippt“, sagte Hamker. „Unsere wertvollen, verbliebenen Industriearbeitsplätze, die einmal verloren sind, kehren nicht mehr zurück“, erklärte die Chefin des Wirtschaftsrats.

Angesichts der anhaltend hohen Infektionszahlen hat der Chef der Bundespflegekammer Markus Mai undes eindringlich vor einem weiteren Anstieg der Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen gewarnt. „Wir sind jetzt beim Pflege-Fachpersonal an der kritischen Grenze angelangt und müssen alles dafür tun, damit die Zahl der Intensivpatienten nicht weiter ansteigt. Andernfalls steht für deren Versorgung nicht mehr genügend gut ausgebildetes Personal zur Verfügung“, sagte Mai auf Anfrage. Er warnte auch vor der Diskussion über eine Impfpflicht für Pflegerinnen und Pfleger. „Wenn eine gute Aufklärung gewährleistet ist, lassen sich Pflegefachpersonen auch impfen. Ein öffentlicher Druck hingegen wird von vielen als ungerechtfertigt und ungerecht empfunden und ist völlig kontraproduktiv“, sagte Mai. „Wenn wir durch eine Impfflicht auch nur zehn Prozent des Fachpersonals verprellen würden, fehlt uns dieses dringend benötigte Personal in der direkten Versorgung, in der es ja jetzt schon mehr als eng ist“, sagte der Kammerpräsident. Er forderte eine generelle Vergütung für Vollzeit-Kräfte in der Pflege von über 4000 Euro brutto monatlich. „Der Ball liegt jetzt bei Gewerkschaften und Arbeitgebern, endlich Tarifverträge mit höheren Gehältern zu vereinbaren. Wir fordern eine Vergütung jenseits von 4000 Euro brutto für alle Vollzeitkräfte – und zwar einheitlich in der Altenpflege und im Krankenhaus“, sagte Mai. Derzeit lägen die Gehälter zwischen 2400 Euro brutto in der Altenpflege und 3200 Euro brutto für Pflegefachpersonen im Krankenhaus.

(jd/mar/dpa)
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