SPD-Pläne zur Parlamentsreform Rede-Duelle sollen den Bundestag beleben

Berlin · Mit ihrem geplanten neuen Vorstoß für eine Parlamentsreform zielt die SPD nicht nur auf einen öffentlich attraktiver erscheinenden Bundestag. Es geht auch darum, dem Plenum die chronische Belastung zu nehmen, die zuletzt durch den Murks beim Meldegesetz peinlich auffiel.

Juni 2012: Eklat - Bundestag bricht Sitzung ab
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Das Potenzial der SPD-Pläne zur Parlamentsreform zeigt sich, wenn man sie als Folie auf das aktuelle politische Geschehen legt. Mehr direkte und prägnante Auseinandersetzungen zwischen der Kanzlerin und den Matadoren der Opposition? Mehr von der Fachöffentlichkeit begleitete Debatten in den Fachausschüssen? Was hätten wir aktuell davon? Sehr viel, wie ein kurzer Vergleich zwischen tatsächlichem und möglichem Parlamentsgeschehen zeigt.

Nehmen wir etwa die Euro-Entscheidungen mit den dazugehörigen Debatten. Natürlich hätte es wie bisher auch zum Auftakt die 30- bis 45-minütigen Regierungserklärungen der Kanzlerin oder ihres Finanzministers gegeben, auf die dann zwei Stunden Debatte gefolgt wäre, in der Regierung und Opposition die Probleme, die Lösungen, die Alternative und die gegenseitige Kritik daran von allen Seiten hätten durchleuchten können.

Aber es wäre parallel dazu ein Erwartungsdruck entstanden, in der zur besten Sendezeit live übertragenen Kanzler-Fragestunde alles in 30 Minuten auf den Punkt zu bringen. "Frau Bundeskanzlerin, wollen Sie wirklich Eurobonds verhindern, so lange sie leben?", hätte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gefragt. Und dann hätte die Kanzlerin nicht, wie es jetzt durch ihre Sprecher geschah, darauf verweisen können, dass sich die Frage offensichtlich auf eine nichtöffentliche FDP-Fraktionssitzung beziehe, zu der man traditionell nicht Stellung nehme.

Nein, Merkel hätte klipp und klar öffentlich machen müssen, womit sie die Euro-Skeptiker hinter verschlossenen Türen beruhigen wollte. Und vielleicht hätte das Publikum ihren Kurs wieder ein wenig besser verstehen können.

Jedenfalls hätten bei irgendeinem Geschwurbel Steinmeier selbst oder auch Jürgen Trittin (Grüne) oder Gregor Gysi (Linke) noch mal nachhaken können. Wie das funktioniert, zeigt das britische Unterhaus jeden Mittwoch um zwölf. Wer eine Regierung erfolgreich führen will, muss hier vor dem Parlament, der zentralen Kontrollinstanz, bestehen. Es ist die Zeit, in der die Nation immer mal wieder mit lebhafter Neugierde ins Parlament blickt und auch das Unterhaus selbst aus den Nähten platzt.

Vielleicht sollte sich der Bundestag am Unterhaus auch noch in einem anderen Punkt ein Beispiel nehmen. Denn dort finden nur 437 von 659 Parlamentariern einen Sitzplatz. Wenn es hoch hergeht, müssen viele stehen. Das verstärkt den Eindruck von Andrang, Emotion und Bedeutsamkeit. Wenn nun auf Vorgabe des Verfassungsgerichtes im deutschen Wahlrecht zusätzliche Ausgleichsmandate für Überhangmandate entstehen müssen, dann sollte das nicht unbedingt bedeuten, dass in einem von 620 auf vielleicht 700 oder 800 Mandate aufgeblähten Parlament auch für jeden ein Sessel im Plenarsaal installiert sein muss.

Und wie hätte sich ein anderer SPD-Reformvorschlag in der aktuellen Parlamentsarbeit niedergeschlagen? Der zur Trennung von kleinen und großen Debatten in solche, die für die breite Öffentlichkeit im Plenum und für die interessierte Fachöffentlichkeit im Ausschuss geführt werden? Nehmen wir das Melderecht. Da kam der Gesetzentwurf der Regierung zur ersten Lesung ins Plenum des Bundestages. Aber zum Debattieren war es an dem Tag schon zu spät. Alle Reden wurden zu Protokoll gegeben. Als nach wochenlangen Ausschussberatungen der in einzelnen Details stark veränderte Gesetzentwurf aus der Nichtöffentlichkeit des Ausschusses wieder herauskam und zur Schlussberatung und Schlussabstimmung im Plenum anstand, war leider auch schon keine Zeit mehr. Wieder wurden sämtliche Reden zu Protokoll gegeben. Wer dann ohne ein Argument zum Für und Wider dem Gesetz in dritter Lesung zustimmen wollte, der erhob sich. Danke, das war die Mehrheit, und so war es beschlossen.

Mit Parlamentsreform wäre das wohl nicht passiert. Da hätte die Koalition schon in öffentlicher Ausschussberatung erklären müssen, warum sie nicht mehr jeden Bürger fragen will, ob seine Daten an Adresshändler verkauft werden dürfen, sondern warum sie nun jedem Bürger zumutet, dagegen Widerspruch einzulegen. Das empörte Echo hätte schon am nächsten Tag für Furore gesorgt. Und nicht erst, als das Gesetz längst unbeobachtet beschlossen war.

(sap)
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