Istanbul In der Türkei droht neuer Streit um Gezi-Park

Istanbul · Die Polizei trifft keine Schuld, alles war ein Missverständnis: Kurz vor dem Jahrestag der Gezi-Proteste sind die merkwürdigen Ergebnisse eines Berichts türkischer Regierungsinspektoren über die Unruhen bekannt geworden. Die Inspektoren bescheinigen der Polizei ein einwandfreies Verhalten und sehen für Ermittlungen gegen die Sicherheitskräfte keinen Grund. Während der Staat sich selber einen Persilschein ausstellt, bereitet die Protestbewegung zum Jahrestag eine Massenklage gegen die Behörden vor: Neue Spannungen rund um den Gezi-Park sind zu erwarten.

Die vier wichtigsten Parteien und ihre Vertreter
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Zwar hatten im Mai und Juni 2013 wochenlange regierungsfeindliche Unruhen im ganzen Land acht Menschen das Leben gekostet; im In- und Ausland wurde die überharte Polizeitaktik kritisiert. Doch die Inspektoren des türkischen Innenministeriums vermögen laut Zeitungsberichten kein Fehlverhalten zu erkennen. Lediglich einige Mitarbeiter des Istanbuler Ordnungsamtes werden kritisiert, die Ende Mai die Zelte der Gezi-Demonstranten in Brand gesetzt hätten.

Die Demonstranten hätten fälschlicherweise angenommen, dass alle Bäume im Park gerodet werden sollten. Dabei sei es nur um einen kleinen Geländestreifen am Rande des Parks gegangen. Als sich militante Gruppen unter die Umweltschützer gemischt hätten, habe die Polizei Tränengas und Wasserwerfer einsetzen müssen, schrieben die Inspektoren. Allerdings seien die Beamten dabei nicht übertrieben hart vorgegangen — eine bemerkenswerte Sicht der Dinge angesichts der Tatsache, dass die Polizei innerhalb von zwei Wochen die Tränengasvorräte von zwei Jahren verschoss.

Die Weigerung der Regierung, die Ereignisse selbstkritisch aufzuarbeiten, dürfte die Gegner von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in ihrem Misstrauen gegenüber dem Regierungschef bestärken. Auch in der Korruptionsaffäre um Erdogan erhält dieses Misstrauen neue Nahrung: Die Regierung bestätigte jetzt offiziell, dass die Stiftung des Erdogan-Sohnes Bilal eine Spende von fast 100 Millionen Dollar erhielt. Woher das Geld kam, weiß niemand. Die Opposition geht davon aus, dass es sich um Schmiergeld für die Regierung handelt. Anlass für eine Untersuchung sieht Ankara aber nicht.

Die Protestbewegung will angesichts der Blockadehaltung der Behörden eine Aufarbeitung der Gezi-Gewalt durchsetzen. Die Organisation "Taksim-Solidarität" rief ihre Anhänger auf, Übergriffe der Sicherheitskräfte während der Gezi-Unruhen den Anwälten der Gruppe zu melden. Mit Sammelklagen in mehreren Landesteilen will "Taksim-Solidarität" gegen die Polizei vorgehen. Anführer der Gruppe stehen ab dem 12. Juni selbst als mutmaßliche Rädelsführer der Proteste vor Gericht.

(RP)
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