Istanbul Erdogan vor Sieg bei Kommunalwahl

Istanbul · Die Regierungspartei AKP könnte erneut die stärkste politische Kraft in der Türkei werden. Die Wahlen wurden von Gewalt überschattet. Im Süden und Osten des Landes sind mindestens acht Menschen ums Leben gekommen.

Kommunalwahl in der Türkei: Erdogan kämpft um sein Lebenswerk
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Kommunalwahl in der Türkei: Erdogan kämpft um sein Lebenswerk

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Der Tag der Schicksalswahl begann mit allgemeiner Verwirrung. Obwohl die türkischen Behörden wegen der Kommunalwahl den Beginn der Sommerzeit verschoben hatten, stellten sich die Handys der meisten Türken trotzdem um. "Wie spät ist es denn jetzt?", fragte der Journalist Hayko Bagdat beim Kurznachrichtendienst Twitter. Zwölf Stunden später sorgten dann widersprüchliche Meldungen über das Wahlergebnis für Verwirrung. Fest stand aber schließlich, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Wahl gewonnen hat.

Erdogans islamisch-konservative Regierungspartei AKP lag in den Prognosen der Fernsehsender mit 43 bis 47 Prozent der Stimmen weit vor der Konkurrenz. Demnach würden die Hauptstadt Ankara und die größte Stadt des Landes, Istanbul, weiter in der Hand der AKP bleiben — Izmir hingegen weiter von einem Bürgermeister der säkular-kemalistischen CHP regiert. Amtliche Ergebnisse wurden erst in der Nacht erwartet.

Je nach politischer Ausrichtung berichteten Fernsehsender und Zeitungen allerdings sehr unterschiedlich. Manche meldeten die AKP bei landesweit knapp über 40 Prozent, andere sogar über 50 Prozent. Bei den Bürgermeisterwahlen in Ankara und Istanbul sahen einige sogar die CHP-Kandidaten im Vorsprung.

Der Politologe Hüseyin Sayman betonte im Nachrichtensender CNN-Türk, im Laufe der Stimmauszählung würden sich die diversen Ergebnisse einander angleichen. Sayman sagte ein Endergebnis von etwa 42 Prozent für die AKP voraus. Der Regierungschef habe von der starken Polarisierung im Land profitiert, erklärte er.

Erdogan hat mit dem Ergebnis nicht nur die Kritik an seiner Regierung beantwortet, sondern auch die Basis für eine erwartete Präsidentschaftskandidatur im August gelegt. Vor der Wahl hatte es bei der AKP geheißen, Erdogan werde bei einem Ergebnis von weniger als 40 Prozent die Präsidentschaftsbewerbung überdenken. Der Ministerpräsident zeigte sich nach der Wahl kurz seinen jubelnden Anhängern in Istanbul, gab aber keine Stellungnahme ab.

Angesichts der Entrüstung großer Teile der Öffentlichkeit verwunderte das gute Abschneiden der AKP viele Beobachter. Nach dem gewaltsamen Vorgehen der Polizei gegen die Gezi-Proteste des vergangenen Jahres weigerte sich Erdogan im Dezember, Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung von der Justiz aufarbeiten zu lassen. Stattdessen warf er der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen vor, ein Komplott gegen ihn ausgeheckt zu haben. Als es im Internet trotzdem immer wieder Korruptionsenthüllungen gab, sperrte die Regierung den Zugang zu Twitter und zu der Videoplattform Yotube.

Kritiker Erdogans beklagten eine verzerrte Berichterstattung der regierungstreuen Staatsagentur Anadolu. Zudem machten Beschwerden über angebliche Unregelmäßigkeiten in den Wahllokalen die Runde. So sollen haufenweise Wahlzettel sichergestellt worden sein, die bereits vor Beginn der Stimmabgabe zugunsten der AKP ausgefüllt wurden. Klagen dieser Art gehören schon immer zu türkischen Wahlen — ebenso wie Nachrichten von Todesopfern bei Auseinandersetzungen. Auch in diesem Jahr sind Anhänger verschiedener Kandidaten im Süden und Osten des Landes aneinandergeraten, wie der Sender CNN Türk berichtet. Acht Tote wurden bis zum Nachmittag gemeldet. 17 Menschen seien verletzt worden.

Unaufgeregt ging es dagegen in anderen Wahllokalen zu, etwa in einer Schule im Istanbuler Zentrum. Schon am Morgen bildeten sich dort Trauben von Wählern. "Wir sind früh gekommen, weil es heute Nachmittag wahrscheinlich noch viel voller wird", sagte ein Mann. Gegen Mittag brachten Helfer zur Versorgung des Wahlpersonals große Mengen Kebap und literweise Ayran, ein beliebtes türkisches Getränk aus Joghurt.

(RP)
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