Edinburgh/London Queen über Schottland zutiefst besorgt

Edinburgh/London · Die Befürworter der Unabhängigkeit von Großbritannien erreichen in Umfragen erstmals die Mehrheit. Jetzt reagiert auch London.

"Schock", titelte die "Sunday Times": Zum ersten Mal sieht eine Meinungsumfrage eine Mehrheit für die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien. Zehn Tage vor dem Referendum am 18. September sprechen sich laut einer Erhebung des Instituts Yougov 51 Prozent der Schotten für die Abspaltung von Großbritannien aus, während 49 Prozent an der Union festhalten wollen. Damit hat innerhalb eines Monats eine dramatische Kehrtwende stattgefunden: Ein 22-prozentiger Vorsprung der Unionisten schmolz dahin, jetzt führt das Ja-Lager mit zwei Prozent.

Selbst das Königshaus wird nun unruhig. Die Queen, so hieß es am Hofe, sei "zutiefst besorgt" über die mögliche Aufspaltung ihres Königreichs und bitte um tägliche Updates. Premierminister David Cameron reiste gestern nach Balmoral, der schottischen Residenz der Queen, wo sie die Sommermonate zu verbringen pflegt.

Der Premier will sich am nächsten Sonntag in einer letzten Rede an die schottischen Wähler wenden und ihnen sagen, dass sie "das Beste beider Welten" besitzen, wenn sie Teil des Vereinten Königreichs bleiben. Labour-Chef Ed Miliband hat seine Fraktion mobilisiert: In den nächsten Tagen sollen 100 Labour-Abgeordnete in den hohen Norden reisen und für die Union werben.

Eine Umfrage allein macht noch keine Unabhängigkeit, zumal eine weitere Erhebung von Panelbase, in Auftrag gegeben vom Ja-Lager, die Unionisten noch bei 52 und die Separatisten bei 48 Prozent ansiedelt. Doch eines ist klar: Nachdem in den letzten zwei Jahren ein Sieg des Nein-Lagers garantiert zu sein schien, ist jetzt das Rennen völlig offen. Die alles entscheidende Umfrage wird erst am 18. September stattfinden, doch sie könnte durchaus zu einem Triumph für die Unabhängigkeit werden.

In London, wo man lange fast apathisch die Vorgänge in Schottland verfolgt hat, dämmert es den Politikern jetzt, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Der konservative Abgeordnete Sir Edward Leigh nannte die mögliche Abspaltung Schottlands eine "nationale Demütigung von katastrophalem Ausmaß", während sein Kollege Rory Stewart sagte: "Eine Ja-Stimme würde das Versagen der gesamten politischen Klasse bedeuten und zur größten konstitutionellen Krise seit 300 Jahren führen." Schon ist die Rede davon, dass David Cameron in diesem Fall von seinem Posten als Parteivorsitzender der Konservativen und damit auch vom Amt des Premierministers zurücktreten müsste. Man zitiert das Beispiel von Lord North, der 1782 nach dem Verlust der amerikanischen Kolonien ein Misstrauensvotum verlor.

Tatsächlich wären die Konsequenzen einer schottischen Unabhängigkeit unabsehbar. Noch will sich keiner ausmalen wollen, was das in innenpolitischer, wirtschaftlicher, außenpolitischer und konstitutioneller Hinsicht bedeuten könnte, denn die möglichen Folgen übersteigen die Vorstellungskraft.

Notfallpläne jedenfalls scheint es nicht zu geben. "Wir machen keine Pläne für die Aufspaltung des Königreichs", heißt es knapp aus dem Finanzministerium. Allerdings räumte Downing Street, das Büro des Premiers, ein, dass ein Krisenstab eingerichtet worden sei, der im Falle eines Unabhängigkeitsvotums die Märkte beruhigen soll.

(RP)
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