Russland und die Nato Putins militärische Muskelspiele

Berlin · Russische Bomber über dem Ärmelkanal sind kein Einzelfall: Es gab seit Beginn der Ukraine-Krise Dutzende von Zwischenfällen. Unterdessen sind die Friedensgespräche zwischen der Ukraine und den prorussischen Separatisten gescheitert.

Russland und die Nato: Putins militärische Muskelspiele
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Die Menschen in der umkämpften Ostukraine können auch weiter nicht auf eine Waffenruhe hoffen: In der weißrussischen Hauptstadt Minsk gingen am Samstagabend die Friedensgespräche zwischen Vertretern der Ukraine, der prorussischen Separatisten und Russlands ohne Ergebnis zu Ende. Die Konfliktparteien wiesen sich gegenseitig die Verantwortung für das Scheitern zu. In der Ostukraine hielt die Gewalt unvermindert an.

Russland und die Nato: Putins militärische Muskelspiele
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Während in der Ost-Ukraine Zivilisten und Soldaten durch Granaten und Gefechte sterben, ist Russlands Präsident Wladimir Putin dazu übergegangen, den Westen auch außerhalb der Region herauszufordern. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erinnert das Muster provozierender Flüge an die Zeiten des Kalten Krieges, als die Sowjetunion und die USA gegenseitig immer wieder testeten, wie wachsam die andere Seite ist.

Der jüngste Vorfall ereignete sich am Mittwoch über dem Ärmelkanal, als Langstreckenbomber vom Typ Tu-95 an der Grenze des britischen Luftraums entlangflogen. Nato-Abfangjäger stiegen auf und begleiteten die atomwaffenfähigen Militärmaschinen, bis sie die Region verlassen hatten. Die russischen Maschinen drangen nach Angaben aus London zwar nicht in das Hoheitsgebiet Großbritanniens ein, verursachten aber eine Störung des britischen Flugverkehrs.

Seit Ausbruch der Ukraine-Krise kam es bereits zu mehr als 100 Alarmstarts von Nato-Abfangjägern, weil sich russische Flugzeuge den Nato-Grenzen näherten, diese teilweise auch verletzten. Das unabhängige European Leadership Network in London registrierte bis Oktober 2014 allein 40 "sensible" Zwischenfälle, davon drei mit "hohem Risiko". So hätten die gute Sicht und die schnelle Reaktion der Piloten am 3. März vergangenen Jahres eine Katastrophe südöstlich von Malmö verhindert. Ein ohne Transponder fliegendes russisches Aufklärungsflugzeug wäre sonst mit einem SAS-Jet mit 132 Passagieren an Bord kollidiert, der auf dem Weg nach Rom war.

Leicht hätte auch die Entführung eines estnischen Sicherheitspostens durch russische Agenten auf Nato-Territorium am 5. September zu einer Eskalation führen können, zumal die Russen dabei kurz nach der Reise von US-Präsident Barack Obama in die Region Nebelgranaten einsetzten.

Bei Dutzenden weiterer Zwischenfälle hätte es ebenfalls zu Eskalationen kommen können, etwa wenn ein amerikanisches Kriegsschiff im April im Schwarzen Meer die zwölf Überflüge durch eine russische Maschine als Angriff missverstanden hätte. Estland verzeichnete 2014 sechs Verletzungen seines Luftraums durch russische Maschinen und damit fast so viele wie insgesamt in den acht Jahren zuvor. Über 200 weitere verdächtige Annäherungen an den baltischen Luftraum meldete die Nato-Luftüberwachung.

Warum spielt Russland derart mit dem Feuer? Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur und Chef des Nato-Militärausschusses, sieht auf der einen Seite eine wachsende Frustration Moskaus. Die für Krisenfälle vorgesehenen Mechanismen wie der Nato-Russland-Rat würden nicht genutzt, um Auge in Auge brisante Themen und Entwicklungen zu besprechen. Die vertrauensbildenden Maßnahmen, zu denen auch regelmäßige Treffen auf der Ebene der Außen- und Verteidigungsminister gehörten, seien ausgesetzt.

Auf der anderen Seite handele es sich eindeutig um eine Machtdemonstration. "Das russische Militär will zeigen: Wir sind wieder wer!", erläuterte Kujat. Gerade nach dem Spott Obamas über Russland als "Regionalmacht" zeige der Einsatz von atomwaffenfähigen strategischen Bombern für derartige "kalkulierte Regelverletzungen" wie an der Grenze des britischen Luftraumes eindeutig das Bedürfnis Russlands, als Macht auf gleicher Augenhöhe behandelt zu werden.

Die jüngsten Meldungen aus Russland bestätigen diese Interpretation. Generalstabschef Waleri Gerassimow teilte mit, dass das russische Militär allein in diesem Jahr 50 neue, atomar bestückte Interkontinental-Raketen erhalten werde. Es ist Teil eines bis 2020 laufenden, 300 Milliarden Dollar (265 Milliarden Euro) teuren Modernisierungsprogramms für die russische Armee.

Kujat warnte die Nato davor, ihre Reaktionen von dem Konflikt in der Ukraine abhängig zu machen. Militärstrategen wüssten um die Bedeutung einer "Eskalationsdominanz". Die Nato sei aber nicht Herr der Lage, sondern reagiere nur, ohne die Akteure in der Ukraine selbst kontrollieren oder auf sie einwirken zu können.

(may-)
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