Russland Putin steckt im Rüstungs-Dilemma

Moskau · Trotz Modernisierung ist das Gros der russischen Armee für eine expansive Politik kaum zu gebrauchen.

Die Ankündigung saß: Noch in diesem Jahr werde Russland die Atomstreitkräfte mit 40 neuen Interkontinentalraketen ausstatten, sagte Wladimir Putin jüngst. Neueste Marschflugkörper, die jedes Abfangsystem überlisten könnten, setzte er noch hinzu. Zu Hause freute sich die Öffentlichkeit über Finesse und List der heimischen Rüstungsindustrie. Im Westen sahen viele schon einen neuen Rüstungswettlauf heraufziehen. So hatte es sich der russische Oberbefehlshaber auch gedacht: Stolz im Innern, Furcht nach außen.

Der Kremlchef hätte unterdessen auch erzählen können, dass die Langstreckenraketen Teil eines seit Jahren laufenden Modernisierungsprogramms sind. Die nuklearen Streitkräfte stellen das Rückgrat der russischen Verteidigung dar. 2000 verabschiedete Moskau eine neue Militärdoktrin, die den Einsatz von Nuklearwaffen vorsieht, sollten die eigenen konventionellen Kräfte einem Gegner nicht gewachsen sein. War die Nato während des Kalten Krieges dem östlichen Verteidigungsbündnis des Warschauer Paktes konventionell unterlegen, hat sich das Verhältnis nach dem Ende der Sowjetunion umgekehrt.

Die Doktrin hat somit eine Berechtigung, nur deutet sich seit dem Ukraine-Krieg ein Wandel in deren Auslegung an. Der Kremlchef scheint diese nicht mehr nur defensiv zu verstehen. Als Moskau im letzten Jahr die Krim "heimholte", sei Russland bereit gewesen, auch die Nukleartruppen in Alarmbereitschaft zu versetzen, sagte Putin in einer TV-Dokumentation.

Russlands Streitkräfte haben seit 2008 einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen. Parallel dazu wurde auch ein Erneuerungsprogramm aufgelegt, das vorsieht, 70 Prozent des militärischen Geräts, das meist noch aus Beständen der UdSSR stammt, bis 2020 durch neue Hardware zu ersetzen. 2011 waren dafür 370 Milliarden Dollar vorgesehen. Mit der Wirtschaftskrise wurden jedoch 2015 auch am Verteidigungsbudget fünf Prozent Einsparungen vorgenommen. Im Vergleich zum Vorjahr wächst der Militäraushalt 2015 dennoch um 25 Prozent.

Auch der Umbau der Landstreitkräfte war mit der Einrichtung schneller Eingreiftruppen von 3000 bis 5000 Mann erfolgreich. Das Husarenstück der Krim-Besetzung hatten Spezialeinheiten wie die Luftlandetruppen und die militärische Aufklärung umgesetzt. Mit dem Rest der Armee sind diese jedoch nicht zu vergleichen: Grundsätzlich leidet die Armee unter Personalmangel. Rund 845 000 Mann stehen unter Waffen. Der typische Soldat ist jedoch wenig gebildet und leidet nicht selten unter Suchtproblemen. Für die Bedienung hochkomplexer Waffensysteme eignet er sich weniger. Die mobilen Truppen wiederum sind aufgrund ihrer Größe weder für einen Eroberungskrieg noch als Besatzer verwendbar. Mit der Besetzung der Ukraine wäre die Armee überfordert, meinen Experten.

Trotz der bislang erfolgreichen Reformen sieht es so aus, als würde Moskau in die gleiche Falle tappen wie die Sowjetunion: Die Rüstung trieb die UdSSR in den 80ern in den Ruin. Putin möchte aber gerade die Rüstungsindustrie wieder zum Motor der Wirtschaft machen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort