Keine Fortschritte Putin lässt Merkel stundenlang warten

Berlin/Mailand · In Mailand treffen sich der russische Präsident und die Bundeskanzlerin - mit Verspätung. Wirkliche Fortschritte erzielen sie nicht.

Sie wissen, dass sie ein ungleiches Paar sind, der 62-jährige Russe und die 60-jährige Deutsche. Er neigt zur testosterongesteuerten Selbstdarstellung, sie taucht privat lieber ab. Er erlebte die letzten vier Jahre der DDR als Geheimdienstoffizier in Dresden und stieg dann zum russischen Führer auf, der den weltweiten Mitgestaltungsanspruch Moskaus wiederbelebte. Sie arbeitete als Physikerin in der DDR und stieg dann zur ersten deutschen Kanzlerin und mächtigsten Frau der Welt auf. Und nun sitzen sich Wladimir Putin und Angela Merkel in einem Mailänder Hotel Auge in Auge gegenüber. Ihre Mission: neues Vertrauen nach dem eskalierenden Ukraine-Konflikt.

Es ist die erste direkte Begegnung seit dem Landungsjubiläum der Alliierten im Juni in der Normandie. Und es baut von vornherein auf Misstrauen auf. Weil Putin sich bei einem Kurzbesuch am Nachmittag nicht von den begeisterten Serben trennen mag, verschiebt er den Abflug nach Mailand, wo er am Rande des EU-Asien-Treffens mit den wichtigsten europäischen Akteuren und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko Verständigungschancen erörtern möchte. Das wollen Merkel und Putin am Abend vorbereiten. Doch zum vereinbarten Termin mit Merkel in Mailand ist er noch in Belgrad. Stundenlang lässt er die Kanzlerin warten.

Das Signal greift Merkel auf. Statt mit Putin wie mit Poroschenko in ihrer Hotel-Suite zu reden, lässt sie das nachgeholte Gespräch am späten Abend in einen kleinen Konferenzraum des Park Hyatt verlegen. Es gibt zwar Kaffee und Saft, und es wäre ein Leichtes, auch noch Wein zu bestellen, um die Atmosphäre etwas aufzulockern. Doch Merkel und Putin trinken nur Wasser.

Ihrer beider Sozialisierung im Warschauer Pakt erleichtert zumindest sprachlich die Verständigung. Putin spricht Russisch und Deutsch, Merkel spricht Deutsch und Russisch. Natürlich haben beide auch ihre Dolmetscher mitgebracht. In den Kladden stecken Texte - vor allem der Wortlaut der Minsker Vereinbarungen über den Waffenstillstand in der Ost-Ukraine.

Es geht auf Mitternacht zu, auf ein Uhr. Doch obwohl für acht Uhr das Frühstück mit Poroschenko und weiteren EU-Spitzenpolitikern angesetzt ist und Putin auch noch seinen Freund Berlusconi besuchen will, sprechen die beiden weiter. Erst um 1.30 Uhr trennen sich Merkel und Putin. Das lange nächtliche Treffen bestätigt, was die Welt erwartet: Wenn ein Gesprächspaar überhaupt noch Frieden für die Ukraine schaffen und die Schieflage zwischen Moskau und der EU beseitigen kann, dann sind es die beiden.

Sie stecken in wirtschaftlich ähnlichen, aber unterschiedlich dramatischen Situationen. Die Konjunkturdelle in Deutschland ist noch mäßig, kann sich aber vertiefen, wenn Russland im Winter die Energielieferungen stoppt. Die Kapitalflucht aus Russland ist gewaltig und wäre wohl nur dann zu stoppen, wenn die Welt die Sanktionen lockert und die Politik des Kreml wieder berechenbar wird.

Zwei Signale hat Putin kurz zuvor ausgesandt: Die Sanktionen seien "feindselig", aber er ziehe seine Truppen von der ukrainischen Grenze ab. Als Putin in Mailand eintrifft, liegen der Nato Geheiminformationen vor, wonach die russischen Truppen jedoch keinerlei Anstalten machen zurückzukehren.

Wirkliche Fortschritte erreichen Merkel und Putin nicht. Die Wahlen in den Separatistengebieten, die Grenzziehung, die Drohnen-Überwachung des Waffenstillstands, die unbezahlten Gaslieferungen, all das wird nicht nur in der Nacht rauf- und runterverhandelt. Auch beim Frühstück und bei einer dritten Unterredung am Nachmittag sprechen die Staats- und Regierungschefs wieder und wieder über die Themen, sehen mal Absichten, mal Anzeichen, aber konkret wird nichts.

Das illustrieren die offiziellen Einschätzungen. "Es war gut, es war positiv", meint Putin selbst nach dem Frühstück. Als die russische Delegation Bilanz gezogen hat, heißt es nur noch: "Es gab keinen großen Willen, die Lage in der Ukraine objektiv zu erörtern."

Merkel spricht anschließend von "Annäherungen", schränkt aber ein, dass sie "keinerlei Durchbruch erkennen" könne. "Etwas weiter" sei man bei der Frage des Drohnen-Einsatzes, an dem sich am Ende auch Russland beteiligen könnte. Aber auch hier folgt der Verständigung in eine Richtung wieder die Ernüchterung beim Suchen nach dem Weg. Diesmal hakt es daran, zu welchem Zeitpunkt Russland die von seinem Territorium aufgenommenen Luftaufnahmen nutzen darf.

Sowohl über die Drohnen als auch über die Gaslieferungen stehen weitere Expertenverhandlungen Anfang der Woche an. Erst dann wird sich zeigen, ob die Chefs die Grundlage für eine vorsichtige Wiederannäherung geschaffen haben. Ein Durchbruch fühlt sich jedenfalls anders an.

(may-)
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