Analyse Putin gefällt sich als Friedensfürst

Düsseldorf · Geschickt hat der russische Präsident seinen US-Amtskollegen diplomatisch erst einmal ausmanövriert. Aber dafür ist Wladimir Putin in der Syrien-Frage jetzt in Zugzwang. Obama wird versuchen, dies auszunutzen.

Vielleicht kommt irgendwann Licht in diese Sache. In einigen Jahren, wenn der dann pensionierte US-Außenminister John Kerry seine Memoiren auf den Markt bringt und auch sein derzeitiger russischer Amtskollege Sergej Lawrow in seinen Erinnerungen kramt. Hat sich Kerry verplappert, als er Syriens Diktator Baschar al Assad bei einer Pressekonferenz mit vielsagendem Stirnrunzeln zur Abgabe seiner Chemiewaffen aufforderte, oder war es raffiniertes Kalkül? Und wusste der Kreml von den amerikanischen Überlegungen, oder nutzte Lawrow Kerrys Steilvorlage nur geschickt, um die Amerikaner zu umdribbeln? Einstweilen tut man sich schwer mit der Einschätzung, wer bei diesem diplomatischen Coup eigentlich der Sieger war.

In der internationalen Wahrnehmung, auch der amerikanischen, hat Wladimir Putin in diesem Match die ersten Punkte gemacht. Nach dem diplomatischen Desaster des G 20-Gipfels in Sankt Petersburg, auf dem der russische Präsident als Gastgeber seinem Image als grimmiger Nein-Sager und Blockierer wieder einmal voll gerecht geworden ist, wird Russland seit dem überraschenden Vorstoß zu den syrischen C-Waffen plötzlich wieder als gestalterische Kraft wahrgenommen. Putin hat US-Präsident Barack Obama dazu genötigt, den angekündigten Militärschlag auszusetzen. Seinem Schützling Assad hat er dadurch erst einmal Zeit verschafft und Washington sogar gezwungen, den Diktator als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Putin, für den nichts wichtiger ist, als auf Augenhöhe mit Obama gesehen zu werden, dürfte das als besonderen Triumph empfunden haben.

Kurzfristig darf sich Putin als Sieger fühlen, mittel- und langfristig aber könnte Obama als der wahre Gewinner aus dem diplomatischen Clinch um Syrien hervorgehen. Und es stellt sich sogar die Frage, ob man im Weißen Haus die russische Reaktion deswegen nicht sogar bewusst provoziert hat. Man muss sich nur vor Augen führen, in welcher delikaten Ausgangsposition der US-Präsident noch vor einer Woche steckte. Wie ein Getriebener wirkte Obama in seinem verzweifelten Werben um Unterstützung für den im Volk wie auch im US-Kongress höchst unpopulären Militärschlag. Eine Zustimmung der Abgeordneten schien zuletzt äußerst unwahrscheinlich. Allein die sich abzeichnende Abstimmungsniederlage im Kongress wäre schon eine Katastrophe für Obama gewesen. Den Angriff einfach abzublasen, hätte obendrein einen massiven Glaubwürdigkeitsverlust bedeutet, von der fatalen Signalwirkung auf düstere Regime wie in Teheran oder Pjöngjang ganz zu schweigen. Nach einem solchen Desaster wäre Obama für den Rest seiner Amtszeit wohl nur noch als politischer Eunuch durch Washington geirrt.

Jetzt kann er immerhin mit gewisser Berechtigung behaupten, nur die Drohung mit Cruise Missiles und Kampfjets habe Assad dazu gebracht, einer Vernichtung seines chemischen Waffenarsenals zuzustimmen. Sollte sich die teilweise Entwaffnung des Regimes als Einstieg in eine Verhandlungslösung für den syrischen Bürgerkrieg nutzen lassen, wäre sogar noch mehr erreicht. Besonders wichtig ist für Obama jedoch, dass er die Russen dabei jetzt als Vermittler in die Pflicht nehmen kann. Indem Putin der Welt bewiesen hat, wie groß sein Einfluss auf das Regime in Damaskus ist, hat er sich selbst in Zugzwang gebracht. Sollte sich nämlich herausstellen, dass Assad bei der Herausgabe seiner Giftgas-Vorräte trickst und Moskau tatenlos dabei zusieht, wie der Diktator alle Welt an der Nase herumführt, wäre es schließlich schnell wieder vorbei mit Putins selbstgefälliger Pose als Friedensfürst und internationaler Krisenmanager.

Eine erste Nagelprobe für Putins wahre Absichten wartet bereits heute, wenn die UN-Inspektoren ihren Bericht über das Chemie-Massaker bei Damaskus vorlegen, bei dem fast 1500 Menschen getötet wurden. Die Experten dürfen zwar ausdrücklich keine Verantwortlichen für das Kriegsverbrechen benennen, aber dem Vernehmen nach werden sie wohl eine lückenlose Indizienkette präsentieren, die auch ohne namentliche Schuldzuweisung nur den Schluss zulässt, dass Assads Regime für den Einsatz verantwortlich ist. Es wird interessant sein zu sehen, wie Wladimir Putin darauf reagiert, der bisher steif und fest die Ansicht vertritt, die Chemie-Attacke sei von den syrischen Rebellen ausgegangen. Bleibt er bei seiner Haltung, lässt das nichts Gutes erahnen für den weiteren Verlauf der syrischen Abrüstung, von einer diplomatischen Gesamtlösung ganz zu schweigen.

Wie ernst es Putin meint mit seiner Rolle als selbst ernannter Patron des Weltfriedens, wird sich auch daran messen lassen, wie entschlossen er eine schnelle Vernichtung der syrischen C-Waffen unterstützt. Zahlreiche Experten halten dies mitten im Bürgerkrieg für illusorisch, es sei denn, ein massives Truppenaufgebot sicherte den Prozess ab. "Es gibt Berechnungen, dass bis zu 75 000 Mann Bodentruppen nötig sind, um die chemischen Kampfstoffe zu sichern", sagt Dieter Rothbacher, früherer UN-Waffeninspektor im Irak, der auch Angehöriger des UN-Expertenteams ausgebildet hat, das gerade aus Syrien zurückkehrte. Russland könnte einen Teil der nötigen Soldaten stellen.

Freilich ist auch Obama noch nicht aus dem Schneider. Sollte sich der Eindruck verstärken, dass es Assad nicht ernst meint mit der Abgabe der C-Waffen und es ihm allein um Zeitgewinn geht, um die Rebellion in Syrien mit konventionellen Waffen niederzuschlagen, wäre Obama erneut in Zugzwang. Würde er dann doch irgendwann den Befehl zum Angriff geben, blieben dessen Zielsetzung und Erfolgsaussichten wohl weiterhin vage. Aber der Präsident könnte immerhin sagen: Ich habe alles andere versucht.

(RP)
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