Erwerbsminderungsrenten Psycho-Stress belastet die Sozialkassen
Berlin · Fast 43 Prozent der neuen Erwerbsminderungsrenten wurden 2015 wegen psychischer Probleme bewilligt. Mehr als 74.000 Personen sind betroffen. Das schlägt auf die Volkswirtschaft durch.
Die Zahl der Arbeitnehmer, die wegen psychischer Probleme im Job pausieren oder ihre Arbeit ganz aufgeben, steigt weiter. Sozialpolitiker fürchten die dadurch entstehenden Kosten für die Sozialsysteme. 2015 begannen 74.234 Versicherte, wegen psychischer Störungen eine Erwerbsminderungsrente zu beziehen, wie die Deutsche Rentenversicherung auf Anfrage erklärte. 42,9 Prozent aller Erwerbsminderungsrenten wurden wegen psychischer Probleme bewilligt. 2014 waren es 72.972 gewesen. 2005 hatte die Zahl nur 53.000 betragen, und der Anteil der Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Ursachen hatte bei etwa einem Drittel gelegen.
Zugleich benötigen immer mehr Beschäftigte eine Rehabilitation wegen psychischer Störungen. Im vergangenen Jahr nahmen diese 186.200 Arbeitnehmer in Anspruch. 2014 waren es 185.912. Im Vergleich zu 2005 liegt der Anstieg der Zahlen bei mehr als 40 Prozent.
Ein Grund für den Anstieg sei, dass psychische Störungen heutzutage von Betroffenen eher offenbart würden, sagte ein Sprecher der Rentenversicherung: "Die Stigmatisierung in der Gesellschaft ist rückläufig." Für eine reale Zunahme der Häufigkeit psychischer Störungen gebe es dagegen auch nach neueren Studien keinen Hinweis.
Zeitdruck und hohes Arbeitsaufkommen
Allerdings fühlen sich immer mehr Arbeitnehmer gestresst. Nach einer Umfrage des Instituts Ipsos im Auftrag der Allianz hat knapp die Hälfte der Arbeitnehmer schon darüber nachgedacht, wegen psychischer Belastungen die Arbeitszeit zu reduzieren oder den Arbeitgeber zu wechseln. Als Hauptgründe für den Stress nannten 37 Prozent der Befragten Zeitdruck und hohes Arbeitsaufkommen. Die Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Kollegen nannten 32 Prozent als Grund.
Auch die Krankenkassen spüren die Auswirkungen psychisch belasteter Arbeitnehmer. Zwar rangiert als Ursache für eine Krankschreibung die Psycho-Diagnose dem Gesundheitsreport der Techniker-Kasse zufolge hinter Atemwegserkrankungen, Rückenproblemen oder Krebs. Allerdings sind die Ausfallzeiten bei psychischen Erkrankungen so lang, dass bei der Zahl der Fehltage diese Diagnose mittlerweile eine Spitzenposition einnimmt. Nach einer Analyse der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin belasten die direkten Kosten für psychische Erkrankungen Unternehmen und Volkswirtschaft mit jährlich 16 Milliarden Euro.
Die "hohe Kostendynamik" wegen psychischer Erkrankungen beklagte auch Uwe Schummer (CDU), Behinderten-Beauftragter der Unionsfraktion. Jährlich wachse die Zahl der Plätze in Behinderten-Werkstätten um rund 15.000. Ein Großteil des Zuwachses entfalle auf Personen, die nicht oder nicht mehr im regulären Arbeitsmarkt beschäftigt werden können: "13.000 Plätze kommen allein aufgrund seelischer oder psychischer Behinderung der Arbeitnehmer hinzu", sagte Schummer. Dies entspreche Zusatzkosten von 200 Millionen Euro pro Jahr.
Die Entwicklung ist für die Regierung Anlass, im Teilhabe-Gesetz die Prävention in den Betrieben zu stärken. Zudem sollen Firmen, die psychisch Kranke integrieren, künftig mit 150 Millionen Euro jährlich unterstützt werden.