Moskau Problemlöser Putin

Moskau · Jedes Jahr dasselbe Ritual: Russlands Präsident inszeniert sich als guter Zar einer Reality-Show im Fernsehen. Es geht um alltägliche Probleme - und plötzlich auch um Außenpolitik.

15 Mal in seiner bisher 18-jährigen Amtszeit war Kremlchef Wladimir Putin schon zu Gast beim "Direkten Draht". Jedes Jahr stellt sich das Staatsoberhaupt inzwischen im Fernsehen den Fragen der Bürger. Nach offiziellen Angaben sind Fragen und Fragesteller vorher auch nicht auf Verträglichkeit ausgewählt worden. Hinter den Kulissen freilich sieht es häufig anders aus. Dennoch nimmt der Kreml die Fragen aus dem Volk ernst.

Der "Direkte Draht" ist ein Stimmungsbarometer, das die fehlende Rückbindung an den Souverän ersetzt. Und Putin erweckt dann den Anschein, als habe er mit dem realen Leben nichts zu tun. Die Menschen rufen ihn als letzte Instanz an, wenn der Staat ihnen kein Gehör schenkt. Und der Staatschef inszeniert sich als Problemlöser.

In diesem Jahr hatte die Regie einige Veränderungen vorgenommen: Volksvertreter waren im Studio nicht mehr vertreten. Volontäre nahmen E-Mails und SMS entgegen und beobachteten die Fragen in den sozialen Medien. Zwei Moderatoren, einer von ihnen Wladimir Putins Wahlkampfchef vor seiner Wiederwahl im März, gaben die Fragen dann an den Kremlchef weiter.

Neu war dieses Mal die Beteiligung von Ministern und Gouverneuren. Angeblich hatten sie die Anweisung erhalten, sich für den "Direkten Draht" zur Verfügung zu halten. Es sah seltsam aus, wie vor der Kamera Dutzende Amtsträger an aufgeräumten Schreibtischen eines Anrufs aus Moskau harrten. Ihre Konterfeis erschienen auf einer Videowand hinter dem Präsidenten. Manchen war die Nervosität anzusehen. Sie mussten antworten, wenn Bürger über Mängel in ihrem Zuständigkeitsbereich klagten.

Russische Beobachter vermuteten schon, der Staatschef könne unzufriedene Leistungen der Topbeamten auf der Stelle ahnden. Wladimir Putin würde sich beim Volk noch mehr Respekt verschaffen, sollte er die "Machtvertikale" ein bisschen auffrischen, die er bei Amtsantritt 2000 zum Lenkungsmechanismus erkoren hatte. Das passierte aber nicht. Der Präsident möchte offenbar keine Veränderungen, auch im politischen Umfeld belässt er fast alles beim Alten.

Wie immer begann Putin mit einem Überblick über die Wirtschaftslage. Wie immer gab es wenig zu beklagen. Er beobachte vielmehr "eine stabile Tendenz zu nachhaltigem Wachstum", beruhigte er die Bürger, die seit Jahren mit sinkenden Reallöhnen leben müssen.

In den viereinhalb Stunden der Fragerunde wurden viele Themen angesprochen. Unter den Nägeln brennt Autobesitzern etwa der Anstieg der Benzinpreise. Ein Lkw-Fahrer klagte: "Im März hat das Land Sie gewählt, aber Sie können den Preisanstieg nicht aufhalten." Energieminister und stellvertretender Ministerpräsident wurden zugeschaltet und mussten Auskunft geben. Der Staat werde Steuern und Abgaben senken, die Ölfirmen würden die Preise nicht mehr so stark erhöhen, erklärten sie.

Der Vater einer kinderreichen Familie aus dem Gebiet Iwanowo nordöstlich von Moskau klagte, ein Hypothekenkredit sei für ihn unerschwinglich. Prompt musste der Gouverneur versprechen: "Wir werden sehen, wie wir solchen Familien helfen." Aus Strunina bei Moskau meldeten sich Frauen, deren Krankenhaus geschlossen wurde. In der entlegenen sibirischen Altai-Region fürchten Mütter, die Dorfschule werde zumachen, und flehten: "Wladimir Wladimirowitsch, helfen Sie!" Putin wird es jetzt sicherlich richten. Doch haben nur wenige die Chance, beim Kremlchef vorzusprechen - nach Fernsehangaben waren mehr als zwei Millionen Fragen eingegangen. "Fenster des Glücks" nennen das die Russen.

Die Außenpolitik spielte diesmal nur eine Nebenrolle, sorgte allerdings für einen der wenigen Momente der Schärfe. Putin ließ es sich nicht nehmen, der Ukraine für den Fall zu drohen, dass sie während der Fußball-WM Stellungen russischer Separatisten im Osten des Landes angreife. Das werde "sehr schwere Folgen für die ganze ukrainische Staatlichkeit" haben. (mit dpa)

(RP)
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