Schwerpunkt Betreuung Problem Ganztagsschule

Mehr als die Hälfte der Schulen in Deutschland läuft mittlerweile im Ganztagsbetrieb. Wissenschaftler bemängeln allerdings, der bisherige Ausbau sei "eine Reise ohne klares Ziel".

Berlin Der Ausbau der Ganztagsschulen schreitet in Deutschland mit großen Schritten voran. Allerdings fehlt es noch immer an Konzepten und Qualität. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Jugendinstituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung.

"Wir werden in wenigen Jahren ein flächendeckendes Ganztagsschulnetz haben, aber kein Konzept dazu", mahnt der Chef des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach. Er fordert eine gesellschaftliche Debatte über die Konzepte.

Kriterium für eine Ganztagsschule ist nach einem Beschluss der Kultusministerkonferenz nur, dass die Schule an mindestens drei Tagen in der Woche sieben Stunden Unterricht anbieten muss. Dadurch ist ein bunter Flickenteppich an Konzepten entstanden: Es gibt Schulen, in denen Eltern ihre Kinder extra für das Ganztagsprogramm anmelden können. In gebundenen Ganztagsschulen müssen alle Schüler die volle Unterrichtszeit mitmachen.

Auch das Ausmaß der Zusammenarbeit mit Sportvereinen und Musikschulen vor Ort, die schulinternen Angebote und die individuelle Förderung der Kinder unterscheiden sich. Nicht alle Ganztagsschulen können die Nachfrage der Eltern auch befriedigen.

"Die gebundene, für alle Schüler verbindliche Ganztagsschule bietet gegenüber der offenen Ganztagsschule die besseren Rahmenbedingungen, um jedes Kind individuell zu fördern", sagt Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Diese Schulform ist allerdings auch die teuerste Variante. Der Bildungsforscher Klaus Klemm hat errechnet, dass Bund und Länder jährlich zusätzlich rund 9,4 Milliarden Euro investieren müssen, um — wie es international Standard ist — alle allgemeinbildenden Schulen zu echten Ganztagsschulen auszubauen.

Aktuell besucht nur jeder achte Schüler in Deutschland eine Einrichtung, die verpflichtend im Ganztagsbetrieb läuft. Mit zwei Milliarden Euro muss das meiste Geld in das bevölkerungsreichste Land NRW fließen. Wenn das System bis 2020 umgestellt ist, sind pro Jahr noch 7,8 Milliarden Euro mehr notwendig als heute.

Die neue deutsche Ganztagsschule soll aus Sicht Rauschenbachs allerdings nicht ein Unterrichtssystem wie in Frankreich etablieren, wo die Kinder von morgens bis nachmittags Schulstunden absolvieren. Vielmehr solle es einen Wechsel aus Konzentrations- und Entspannungsphasen mit Freizeitangeboten geben. Im Ganztagsbetrieb könne auch der Zeittakt der üblichen 45-minütigen Unterrichtseinheiten aufgebrochen werden. Bertelsmann-Vorstandsmitglied Dräger forderte einen "Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz". Er kritisierte, dass der Staat zu viel Geld in Transferleistungen wie Elterngeld und Kindergeld stecke. Stattdessen aber müsse in die staatlichen Institutionen investiert werden.

Solche Forderungen sind Wasser auf die Mühlen der SPD, die ebenfalls stärker in Ganztagsschulen investieren will. "Wir wollen die Ganztagsschule flächendeckend ausbauen und weiterentwickeln, um in einem ersten Schritt bis 2015 zusätzlich 6000 Ganztagsschulen — also ganztägige Lehr- und Betreuungsangebote — zu schaffen", sagte SPD-Vize-Chefin Manuela Schwesig unserer Zeitung. In einem zweiten Schritt solle bis 2020 ein "flächendeckendes und bedarfsgerechtes Angebot" an Ganztagsschulen sichergestellt werden.

(RP/jh-)
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