Interview mit Volker Perthes "Präsident Obama muss NSA-Chef Keith Alexander entlassen"

Berlin · Der einflussreiche Politikexperte Volker Perthes sieht im Gespräch mit unserer Redaktion für US-Präsident Barack Obama keine einzige Möglichkeit als die sofortige Entlassung von Geheimdienstchef Keith Alexander. Anders könne er kein neues Vertrauen zu den abgehörten Staats- und Regierungschefs herstellen.

Was ist von einem Freund zu halten, der einen heimlich abhört?

Perthes Mit einem solchen Freund muss man über die Regeln der Freundschaft reden. Unter Freunden versteht man zwar, dass es unterschiedliche Einschätzungen darüber geben kann, was alles für die eigene Sicherheit nötig ist. Aber hier erleben wir eine sehr einseitige Durchsetzung des amerikanischen Verständnisses. Wer an einer Freundschaft festhalten will, muss versuchen, dafür eine gemeinsame Grundlage zu finden. Das hat es nicht gegeben, und deshalb ist das Verhältnis nun stark belastet.

Was bedeutet das für das weltweite Ansehen der USA?

Perthes Es schlägt jetzt auch im Weißen Haus die Erkenntnis ein, dass der NSA mit seiner "Wir-können-alles-tun"-Attitüde auch dem US-Präsidenten Barack Obama selbst schadet. Bislang ging es zwar auch schon um die brasilianische Präsidentin, den mexikanische Präsidenten und den französischen Außenminister. Und in solchen Fällen können Sie dann noch den US-Außenminister zur Entschuldigung nach Frankreich schicken. Aber jetzt sind die Spitzen der primären Alliierten betroffen. Da kann der Präsident sich nicht mehr dahinter zurückziehen, dass irgendwelche Leute in der Administration ihr Mandat zu weit ausgelegt haben, sondern dann hat er selbst ein echtes politisches Problem. Das unterminiert massiv jegliches Vertrauen unter den Alliierten, ja den gesamten Umgang des US-Präsidenten mit anderen Staats- und Regierungschefs.

Was muss Obama tun?

Perthes Indirekt hat er sich ja bereits entschuldigt, indem er in seiner Erklärung das Abhören nun für die Gegenwart ausschließt und zusichert, dass es auch in der Zukunft nicht vorkommt…

… aber das Wort "Entschuldigung" fehlt.

Perthes Das fehlt, aber ich weiß nicht, was er im persönlichen Telefonat mit Angela Merkel gesagt hat. Viel wichtiger ist jetzt, Vertrauen wiederherzustellen. Denn der Vorgang steht nun zwischen ihnen, ganz egal über was sie in der Zukunft miteinander sprechen. Ganz besonders, wenn es um Interessenskonflikte geht. Sie können kaum mehr frei und unbefangen miteinander reden.

Wie lässt sich ein solcher Schaden reparieren?

Perthes Obama kann nur durch ein eindeutiges Zeichen Vertrauen neu aufbauen. Er muss NSA-Chef Keith Alexander entlassen. Das ist das Mindeste, was die Welt von den USA erwarten kann. Denn wer glaubt jetzt noch, dass der französische Präsident nicht abgehört worden ist oder der kanadische oder britische Premier, wenn der NSA nicht einmal vor Angela Merkel Halt macht? Eine Entschuldigung könnte Obama sinnvollerweise noch aussprechen, aber die muss mit klaren Konsequenzen verbunden sein. Dann könnten Angela Merkel und Ronald Pofalla damit auch innenpolitisch umgehen und den Vorwurf der Opposition kontern, sie hätten das alles unterschätzt. Sie brauchen diese eindeutige Reaktion der USA.

Muss Deutschland darauf dringen, dass die Fragen zum NSA-Wirken aus dem Sommer endlich beantwortet werden?

Perthes Ja, es ist richtig, diese Fragen weiter zu treiben. Aber die Informationen der Geheimdienste dürften nicht so ausfallen, wie man sich das wünscht. Selbst die US-Kongressausschüsse bekommen nicht die richtigen Antworten. Der NSA mauert auch gegenüber dem eigenen Kontrollgremium. Dabei verstehen die Amerikaner wenig Spaß, wenn es um das Ausspähen ihrer eigenen Daten geht. Und trotzdem hat der NSA da auch gelogen.

Es gibt die Forderung, als Konsequenz die Verhandlungen über das EU-USA-Freihandelsabkommen auszusetzen.

Perthes Das wäre die falsche Schlacht. Sinnvoller ist es, die Agenda um genau dieses strittige Thema zu erweitern. Wir brauchen ein Abkommen, das nicht nur die Spionage ausschließt sondern auch gemeinsame Standards über Datensicherheit festlegt.

Es kommt nicht jeden Tag vor, dass Berlin den US-Botschafter einbestellt. Kommen noch weitere Eskalationsstufen?

Perthes Diplomaten stellt sich die Frage: Wie zeige ich dem wichtigsten Freund, wie verletzt ich bin? Da nutzt man halt diese etwas antiquierten Formen diplomatischer Unmutsäußerung. Die werden verstanden, und sie gehören auch zum Spiel. Aber hier geht es nicht um das Abhören von Abteilungsleitern im Auswärtigen Amt. Deshalb kann das nur auf Spitzenebene geregelt werden. Da muss Obama selbst reagieren. Personelle Konsequenzen gehören zu den Möglichkeiten, die dem Präsidenten zur Verfügung stehen.

Welche Konsequenzen hat der Vorgang für die laufenden Koalitionsverhandlungen?

Perthes Dadurch wird noch einmal deutlich, wie wichtig die Verbindung aus internationaler Zusammenarbeit, Gefahrenabwehr und Datensicherheit ist. Das wird deshalb selbstverständlich auch im Koalitionsvertrag eine bedeutende Rolle für die Aufgaben künftiger Außenpolitik spielen müssen.

Gregor Mayntz sprach mit dem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Prof. Dr. Volker Perthes.

(may-)
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