Moskau/Kiew Poroschenko zweifelt am eigenen Erfolg

Moskau/Kiew · Der ukrainische Präsident gerät unter Druck. Um seine Reformen umzusetzen, ist er auf ein schnelles Ende der Kampfhandlungen im Osten des Landes angewiesen. Doch der Widerstand gegen die Waffenruhe wächst.

Das Dilemma von Petro Poroschenko verschärft sich mit jedem Tag. Der ukrainische Präsident braucht dringend Frieden in seinem Land. Nur so kann er die dringenden Projekte angehen: die Wirtschaftreformen, den Kampf gegen Korruption, die Dezentralisierung der Macht, die versprochene Parlamentswahl. Doch momentan gerät Poroschenko von allen Seiten unter Beschuss. Etwa am Wochenende. Da rieten ihm Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und Russlands Staatsoberhaupt Wladimir Putin, die Waffenruhe in der Ost-Ukraine zu verlängern. Prompt versammelten sich in Kiew 1000 Demonstranten, meist Angehörige ukrainischer Freiwilligen-Bataillone. Sie forderten ein Ende der Feuerpause "zur Liquidierung der Terroristen" in Donezk und Lugansk.

"Noch ist diese Demo klein, aber diese Leute sind bereit, ihre Drohungen wahr zu machen", sagt Ukraine-Expertin Susan Stewart von der Stiftung für Wissenschaft und Politik. "Poroschenko muss plausibel machen, dass eine Waffenruhe auch Sinn hat." Die Aufständischen haben einige Bedingungen erfüllt, etwa die Freilassung der beiden OSZE-Beobachterteams. Aber nach Angaben des ukrainischen Rats für nationale Sicherheit verstießen die prorussischen Kämpfer gestern in acht Fällen gegen die vereinbarte Feuerpause.

Seit Wochen agierte die ukrainische Armee ziemlich glücklos gegen die Separatisten im Osten. Das liegt zum einen daran, dass die Streitkräfte unter dem geschassten Präsidenten Viktor Janukowitsch stark vernachlässigt wurden: Militärexperten sprechen von einer "halbprofessionellen" Truppe. Zum anderen erhalten die Separatisten laufend Nachschub an Waffen, Munition und Freiwilligen über die russische Grenze. Die ist in den umkämpften Regionen weitgehend ungesichert: Die ukrainischen Grenzer sind getürmt, pro-russische Rebellen haben ihre Posten übernommen. "Das offizielle Russland hat Einfluss, kontrolliert aber nicht alles", sagt Stewart.

Poroschenko musste nun einräumen, dass er selbst nicht mehr an den Erfolg des Einsatzes glaubt. "Wir sind uns darüber im Klaren, dass es uns nie gelingen wird, diese Regionen durch Militäraktionen zurückzuholen", sagte er dem "Le Figaro". Kiew sei bereit, sofort in die Infrastruktur und die Industrie des Ostens zu investieren, "aber das alles ist nicht möglich, wenn man uns Kriegsbedingungen aufzwingt".

Die Frage ist nun, was das Ziel einer Waffenruhe sein kann. Die Separatisten hatten gleich zu Beginn der Feuerpause angekündigt, dass sie diese nutzen würden, um die Stellungen zu stärken. "Außerdem sind sie jetzt dabei, Institutionen aufzubauen, wie etwa das gemeinsame Parlament der abtrünnigen Regionen Donezk und Lugansk", so Ukraine-Expertin Stewart, "das ist möglicherweise auch Russlands Ziel." Dann wenn sich die selbst ernannte "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" institutionell verfestigen, wäre das schon ein Schritt hin zu solchen Gebilden wie der abtrünnigen moldawischen Region Transnistrien oder Süd-Ossetien in Georgien, die beide unter russischer Schutzmacht und Militärpräsenz stehen. Bereits jetzt verlangt der sogenannte Regierungschef der "Volksrepublik Lugansk", Witali Nikitin, nach russischen "Friedenstruppen".

"Poroschenkos Friedensplan ist vernünftig. Aber der Druck auf Russland muss vom Westen kommen", so Stewart. Die Vertreter hatten bei ihrem Gipfel in der vergangenen Woche mit weiteren Sanktionen gedroht, sollte sich Moskau nicht konstruktiv an der Deeskalation in der Ost-Ukraine beteiligen. Zu den Bedingungen, die nach Ansicht der EU als erstes erfüllt werden müssen, zählt außer der Freilassung aller Geiseln auch noch die Unterzeichnung über eine effektive Kontrolle der Waffenruhe, die Rückgabe von drei Grenzposten an der ukrainisch-russischen Grenze an die ukrainischen Behörden sowie der Beginn von konkreten Verhandlungen über die Umsetzung des Friedensplans, den Poroschenko vorgelegt hat.

Sollten diese Konditionen nicht erfüllt werden, erwägt man in Brüssel, die nächste Phase von Sanktionen gegen russische Unternehmer und Spitzenbeamte einzuleiten. Darüber soll in den kommenden Tagen entschieden werden.

(RP)
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