Polens Ziel: Beitritt zur Eurozone Polen – starker Partner Deutschlands

Jünger, dynamischer, ehrgeiziger: Die Wirtschaft unseres östlichen Nachbarlandes wächst, der deutsch-polnische Handel erreicht einen Rekordwert. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) will das Land enger an Deutschland binden. Der Beitritt zur Euro-Zone bleibt Polens Ziel.

Warschau Beim Abendspaziergang durch die Altstadt kommt der Minister ins Staunen: saubere Straßen, frisch sanierte Altbauten, schicke Modegeschäfte, teure Restaurants. Am Horizont ragt das futuristische Nationalstadion in den Himmel, Erinnerung an die Fußball-Europameisterschaft. "Eine beeindruckende Stadt", sagt Philipp Rösler. Der Bundeswirtschaftsminister ist zum Abschluss seiner "Nordeuropa-Tournee" in Polens Hauptstadt angekommen. Nach Estland, Finnland und den Niederlanden ist es die einzige Station in einem Nicht-Euro-Land. Dass Polen nicht Teil der Euro-Zone ist, dürfte das Land derzeit verschmerzen.

Die Euro-Krise wühlt die Mitgliedsstaaten auf, Regierungen vergeben Milliardengarantien, streiten mit Parlamenten und Bevölkerungen. Polen indes, das sechstgrößte Land Europas, wächst — 2013 voraussichtlich um 2,5 Prozent, das wäre Europa-Rekord. Im vergangenen Jahr waren es sogar 4,3 Prozent.

Im Schatten der Euro-Krise mausert sich der Nachbar im Osten zum regelrechten Musterknaben. Deutschland profitiert davon: Das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten erreicht mit 70 Milliarden Euro einen Rekordwert und ist höher als der Wert des Austauschs mit Russland oder Japan. Kaum ein europäisches Land sei so gut durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen wie Polen, lobte unlängst der Internationale Währungsfonds.

Für Rösler, der in der Heimat wegen seiner strikten Haltung in der Euro-Krise unter Druck steht, wirkt der Besuch wie ein Treffen mit alten Freunden. Seine Politik der fiskalischen Disziplin und der Strukturreformen stößt hier auf ungeteilte Unterstützung. Reformen werden in Polen längst angepackt. Höheres Renteneintrittsalter, Entbürokratisierung, Ausgabendisziplin — der liberale Regierungschef Donald Tusk krempelt sein Land um.

Dennoch ist die Sorge groß, dass eine sich verschärfende Euro-Krise am Ende doch noch die gute Entwicklung im Land zerstört. "Ein Zerbrechen der Euro-Zone hätte katastrophale Folgen für alle Länder Europas", sagt Finanzminister Jacek Rostowski. Die Rezepte aus Deutschland seien der richtige Weg. "Solidarität geht nur mit Verantwortung", antwortet Rostowski auf die Frage nach weiteren Hilfen für Griechenland. Bei Rösler heißt das: "Kein Rabatt für Reformen." Ähnlich äußerte sich auch Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak.

Eine Euro-Müdigkeit ist in Warschau nicht zu spüren. Wenn die Probleme "repariert" seien, werde man alles tun, um so schnell wie möglich Mitglied der Euro-Zone zu werden, verspricht Rostowski. Hinter den Kulissen wird bereits das Jahr 2016 als Zieldatum genannt. Nach Ansicht vieler Experten könnte das auch gelingen.

Die Daten sind gut. Die polnische Staatsverschuldung liegt mit gut 56 Prozent weit unter dem Schnitt in der Euro-Zone. Die Drei-Prozent-Grenze beim Staatsdefizit soll in den kommenden drei Jahren erreicht werden. Angesichts der Erfolge wird in Berlin schon spekuliert, ob Polen mittelfristig Frankreich als stärksten Wirtschaftspartner Deutschlands ablösen kann. Polen — das neue Frankreich? Zum Vergleich: Frankreich hat derzeit einen Schuldenstand von knapp 90 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, die französische Automobilindustrie darbt, das Land steckt in der Stagnation. Zudem beunruhigen die sozialpolitischen Versprechungen des französischen Präsidenten François Hollande die Finanzmärkte. Es sei nur eine Frage der Zeit, wann Frankreich seine noch immer komfortable Position bei den Rating-Agenturen verliere, heißt es in deutschen Regierungskreisen. Polen dagegen habe sich schrittweise Anerkennung verschafft.

Der Erfolg ist wohl auch der Vehemenz zu verdanken, mit der sich das Land von der sozialistischen Diktatur zu einer lupenreinen Marktwirtschaft wandelte. Nach der Revolution Ende der 80er Jahre räumte der frühere Gewerkschaftsführer Lech Walesa als Staatspräsident marktwirtschaftlichen Reformen Priorität ein. Heute erobern Polens Schüler die Universitäten der Welt, gelten als wissbegierig und fleißig. Das Land ist zudem jung: Nur 13 Prozent der polnischen Bevölkerung sind älter als 65 Jahre — in Deutschland, Frankreich und Italien liegt der Anteil der Alten bei einem Fünftel. Der ausgeprägte nationale Ehrgeiz drängt die Polen zu ständigem Fortschritt.

Das Trauma einer gedemütigten Nation, die im Zweiten Weltkrieg erst unter der brutalen Besatzung der Deutschen und später unter der Vorherrschaft der Sowjetunion litt, dürfte den Willen gestärkt haben, das Land aus eigener Kraft nach vorne zu bringen.

Der einstige Bauernstaat holt auch technologisch auf. Dieses Jahr ist Polen Partnerland der Internationalen Luft- und Raumfahrtmesse in Berlin, 2013 erstmals offizieller Partner der Computermesse Cebit. Ob Deutschlands östlicher Nachbar tatsächlich die Stellung Frankreichs einnehmen kann, bleibt abzuwarten. Völlig unrealistisch ist das aber nicht mehr.

(brö)
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