Polen gedenkt der Absturz-Opfer

Warschau Es ist genau 8.41 Uhr gestern Morgen, als Jaroslaw Kaczynski vor dem Präsidentenpalast in Warschau einen Kranz ablegt. Tausende sind ihm gefolgt. Sie schwenken rot-weiße polnische Fahnen, manche haben auf Plakate "Wir gedenken" geschrieben. Schweigend reichen sie Kerzen an Vertreter der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die diese vor dem Palast abstellen.

Vor einem Jahr um diese Uhrzeit hatte Polen eine nationale Tragödie getroffen: Das Flugzeug von Präsident Lech Kaczynski stürzte bei dichtem Nebel im Landeanflug auf Smolensk ab. Kaczynski hatte in Katyn des sowjetischen Massakers an Tausenden Polen 1940 gedenken wollen. Bei dem Absturz starben außer dem Präsidenten und seiner Frau Maria 94 Menschen, darunter viele Vertreter der politischen Elite.

Am Tag des Unglücks waren damals Hunderttausende spontan in Warschau zusammengeströmt, um Entsetzen und Trauer zu teilen. Ein Jahr später ist die Situation eine ganz andere: Vertreter der liberalen Regierung und die Anhänger der national-konservativen Opposition gedenken des Unglücks streng getrennt. Grund: Jaroslaw Kaczynski, Zwillingsbruder des getöteten Präsidenten und Parteichef der PiS, wirft der Regierung von Donald Tusk vor, sie habe sich leichtfertig von den russischen Ermittlern über die wahre Ursache der Katastrophe täuschen lassen. Kaczynski glaubt, sein Bruder sei einem Anschlag zum Opfer gefallen – auch wenn die Militärstaatsanwaltschaft das ausgeschlossen hat.

Unterdessen stellten Tusk und Präsident Bronislaw Komorowski an einer Gedenktafel in einer Militärkirche in Warschau Grabkerzen für die Toten auf. Bei der offiziellen Gedenkfeier für die Opfer auf dem Powazki-Friedhof sagte Komorowski, das Andenken der Toten lasse sich am besten durch ein "Denkmal der Gemeinsamkeit" bewahren: "Wir müssen uns fragen, wie viel wir über das Jahr aus dieser Trauer der ganzen Nation gerettet haben, um ein Gefühl der Gemeinsamkeit für uns alle zu bauen."

Im Herbst wählen die Polen ein neues Parlament, und Jaroslaw Kaczynski tut alles, um die Flugzeugkatastrophe für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Mittlerweile glauben 87 Prozent der Polen, der Absturz werde politisiert.

Internet Fotos vom Gedenken und vom Unglück unter www.rp-online.de/politik

(RP)
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