St. Petersburg "Plötzlich dieser Knall"

St. Petersburg · Der U-Bahn-Anschlag mit mindestens elf Toten in St. Petersburg reißt das Land aus der Ruhe. Die Stadt ist im Ausnahmezustand.

Dicker, grauer Rauch liegt in der Luft, Menschen liegen blutüberströmt auf dem Bahnsteig. Alles scheint wirr: Personen, die es sonst so eilig haben, bleiben mitten in der Metro-Station stehen, reiben sich die Augen, halten sich einen Schal schützend vor den Mund. Andere versuchen, den regungslosen Menschen zu helfen und Erste Hilfe zu leisten. Doch in vielen Fällen vergeblich.

St. Petersburg, die beliebte russische Touristenmetropole und moderne Stadt an der Ostsee, ist Ziel eines Terroranschlages geworden. Genau in dem Moment, als sich auch Kremlchef Wladimir Putin in der Stadt aufhält. Für ihn hätte es ein Tag voller Routine werden können: Bei einer Konferenz am Rande seiner Heimatstadt spricht er über die russische Wirtschaft, dann ist noch ein Treffen mit seinem weißrussischen Kollegen Alexander Lukaschenko angesetzt. Doch gegen 14.40 Uhr Ortszeit zerreißt eine Explosion die alltägliche Ruhe in St. Petersburg. Zwischen den U-Bahn-Stationen Sennaja Ploschtschad und Technologisches Institut explodiert eine Bombe.

Der Fahrer bringt den Zug noch in die nächste Station, dann wird das Ausmaß der Explosion sichtbar: Eine Tür des Waggons ist zerfetzt, am Rand klebt das Blut getöteter und verletzter Menschen. "Ich war mit meinen Freunden unterwegs. Plötzlich dieser Knall", sagt eine junge Frau einem Fernsehteam. Aus Angst habe sie sich nicht umgedreht und sei einfach ins Freie gelaufen. Eine zweite Bombe, direkt in einer Metrostation platziert unter dem größten Bahnhof der Stadt, explodiert nicht. Ermittler finden sie und machen sie unschädlich. Doch mindestens zehn Menschen sind ums Leben gekommen, Dutzende werden mit schweren Verletzungen in Krankenhäuser gebracht.

Die zweitgrößte Stadt Russlands ist im Ausnahmezustand. Das komplette Metro-System, das täglich schätzungsweise drei Millionen Menschen befördert, wird evakuiert; in Teilen der Stadt bricht der Verkehr zusammen. Hubschrauber kreisen über dem Flüsschen Fontanka, das sich durch das Stadtzentrum schlängelt. Die Station Sennaja Ploschtschad liegt im Herzen St. Petersburgs, zu dem gleichnamigen Platz zieht es Einwohner wie Touristen hin, die nach den Schauplätzen von "Schuld und Sühne" suchen - dem St.-Petersburg-Epos von Fjodor Dostojewski. Es ist einer der belebtesten Orte in der ganzen Stadt.

Für einige Jahre wähnten sich Russland und seine Millionenstädte in einer relativen Ruhe. Die Szene gestern in St. Petersburg erinnert vom Ablauf her an die Anschläge in Moskau vor sieben Jahren: Zwei Sprengsätze gespickt mit Schrauben und Nägeln explodierten am Morgen in den Metro-Stationen Lubjanka und Park Kultury im Zentrum der Hauptstadt - und töteten 38 Menschen. Der tschetschenische Guerillakämpfer und Terrorist Doku Umarow übernahm damals die Verantwortung.

In der Fünf-Millionen-Stadt St. Petersburg aber war es immer sehr ruhig, in den vergangenen 20 Jahren gab es keinen vergleichbaren Anschlag oder Angriff. Stecken auch hinter dem Anschlag in St. Petersburg wieder tschetschenische Terroristen? Putin ließ kurze Zeit nach der Explosion wissen, man ermittle in alle Richtungen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte kurz darauf den Verdacht, es handle sich um einen Terrorakt.

Seit Putin Lufteinsätze gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien fliegen lässt, ist auch Russland in deren Visier geraten. Erst Ende März kamen bei einer Attacke auf eine Kaserne in der Unruheregion Tschetschenien sechs russische Soldaten der Nationalgarde ums Leben. Der IS reklamierte diese Tat für sich. Sollte das Bekenntnis stimmen, war es der bislang schwerste Anschlag der Terrormiliz auf russischem Gebiet.

In St. Petersburg geben die Überwachungskameras in der U-Bahn erste Spuren preis: Eine Person soll die Bombe in einer Aktentasche platziert haben. Sogar Fotos der verdächtigen Person sollen im Internet kursieren, berichteten TV-Sender.

Seit den Anschlägen in der Moskauer Metro wird in den U-Bahn-Stationen jeder Winkel beobachtet, Mülltonnen wurden aus Sicherheitsgründen entfernt. Regelmäßig patrouillieren Polizisten mit Spürhunden durch die Bahnhöfe und Stationen - und kontrollieren auch verdächtig aussehende Menschen.

Bislang ist nicht bestätigt, wer hinter dem Anschlag in der beliebten Touristenmetropole steckt. Doch klar ist: Die Explosion hat nicht nur St. Petersburg aufgeschreckt.

(dpa)
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