Belgrad Plagiatsaffären erschüttern Serbien

Belgrad · Politiker und Wissenschaftler werden mit erschlichenen Titeln erwischt. Unternehmen will niemand etwas.

Zuerst traf es Serbiens Innenminister Nebojsa Stefanovic. Drei Landsleute, die als anerkannte Wissenschaftler in London arbeiten, wiesen ihm detailliert nach, dass er sich seine jüngste Doktorarbeit erschlichen hatte. "Eine wertlose Arbeit, die nicht einmal minimale Kriterien erfüllt", lautete das vernichtende Urteil. Die Kritiker legten dem ehemaligen Präsidenten des Parlaments nahe, nach dem Beispiel der früheren deutschen Bundesbildungsministerin Annette Schavan und des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg zurückzutreten.

Dann wurde Mica Jovanovic als sein Doktorvater bloßgestellt, immerhin Rektor und Besitzer von "Megatrend", der größten privaten Uni im Lande. Der wollte seine Doktorarbeit 1983 an einer Londoner Uni verteidigt haben, die solche Titel gar nicht vergibt. Der angebliche Doktorvater konnte sich nicht erinnern, die Hochschule bestritt, dass der Mann jemals dort studiert hatte. Nachdem die behauptete Existenz von "Megatrend"-Filialen in Österreich und Japan sich als falsch erwiesen hatte, trat Jovanovic zurück.

Der Bürgermeister der Hauptstadt Belgrad, Sinisa Mali, geriet kurz darauf unrühmlich in die Schlagzeilen. Seine Dissertation sei das schlimmste Plagiat, das er bisher gesehen habe, urteilte der aus Serbien stammende und an der Wiesbadener Universität für Wirtschaft und Recht lehrende Finanzprofessor Rasa Karapandza. Mali habe "ein Drittel oder mehr" seiner rund 220 Seiten umfassenden Doktorarbeit ohne Kennzeichnung abgeschrieben. Ganze Absätze stammten aus Wikipedia oder seien Übersetzungen englischer Werke.

Gegen den aus der Opposition stammenden Bürgermeister von Neu-Belgrad, Aleksandar Sapic, werden ganz ähnliche Vorwürfe erhoben. Selbst Staatspräsident Tomislav Nikolic ist ins Gerede gekommen. Er habe noch vor Amtsantritt ein Diplom einer Fakultät erworben, die gar keine Lizenz besaß, behaupteten die Medien übereinstimmend. Sein eigentlich vierjähriges Studium habe er unbemerkt von der Öffentlichkeit absolviert. Allerdings könne sich an der Hochschule auch niemand unter den Studenten und Lehrenden an Nikolic erinnern.

Die Zeitungen wiesen in zahlreichen Artikeln nach, wie die Universitäten mit den Politikern verquickt sind. Sie bekamen die Titel hinterhergeworfen und seien zum Teil von den Privat-Unis finanziert worden. Die konnten im Gegenzug treiben, was sie wollten. "Diplome sind das beste Geschäft", titelte die Zeitung "Novosti" - bei Studiengebühren von mindestens 6000 Euro für drei Jahre bei einem durchschnittlichen Monatsverdienst von gut 400 Euro kein Wunder. Die Zahl der Doktortitel explodierte nach Angaben der serbischen Statistiker von 206 im Jahr 2007 auf 770 im Jahr 2012.

Regierungschef Aleksandar Vucic sprach nun ein Machtwort: Die akademischen Anklagen gegen seine rechte Hand, Justizminister Stefanovic, seien "das Dümmste, was ich je gehört habe". Wenige Wochen zuvor hatte er noch beklagt, in Serbien existierten "im großen Ausmaß Diplome zweifelhafter Qualität". Die Beschuldigten verweisen auf ihre Doktorväter.

Doch niemand im Wissenschaftsbetrieb traut sich, den selbst für Laien handfest erscheinenden Vorwürfen gegen die angeblich falschen Doktoren auf den Grund zu gehen. Denn dann kämen möglicherweise noch viele andere prominente Fälle ans Tageslicht und bedrohten das ganze System. In Kragujevac südlich von Belgrad tritt seit fünf Jahren der Prozess gegen 23 Professoren der juristischen Fakultät um verhökerte Prüfungen und Diplome auf der Stelle. Während die Angeklagten angeblich zu krank für die Verhandlung waren, haben sie an der Hochschule Karriere gemacht.

"Die akademische Gemeinschaft will sich nicht mit der heißen Kartoffel beschäftigen", schrieb die Belgrader Zeitung "Danas". Denn die bekannt gewordenen Fälle seien "sicher nur die Spitze des Eisberges". Die Zeitung "Blic" beschrieb die Hintergründe so: "Die Papiere mit den Stempeln zweifelhafter Fakultäten samt den Unterschriften noch zwielichtigerer Professoren dienen unseren Größen für ihre Anstellung in einem Staatsunternehmen oder Ministerium. Dass sich ihre Kollegen aus der Mittelschule nur wegen deren Nichtwissen an sie erinnern und die Kollegen von der Uni sich überhaupt nicht erinnern, weil sie nie zu Vorlesungen gekommen sind, stört doch überhaupt niemanden."

(dpa)
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