Piraten wollen sich nicht ändern
Bei ihrem Bundesparteitag wählen knapp 2000 Mitglieder im wesentlichen den alten Vorstand wieder. Sie verweigern der Führung Mittel zur umfassenden Professionalisierung und Unterstützung und bleiben auch dabei, sich programmatisch erst im Herbst festzulegen.
Neumünster Wenn es wirklich an den Nerv geht, dann kann die Piratenpartei auch ganz schnell sein. Draußen haben die Linken die Piraten bei ihrem Parteitag in Neumünster bereits plakativ wegen ihres ungeklärten Verhältnisses zu Rechtsextremisten gepiesackt. Und dann macht auch noch das Gerücht die Runde, da habe ein Pirat gegenüber Journalisten erklärt, über den Holocaust könne man "diskutieren". Doch die Piraten wollen mit ihrem Schiff nicht in antisemitisches Brackwasser geraten.
Deshalb wird die laufende Vorstandswahl unterbrochen, eine Resolution zusammengebastelt und im Handumdrehen ohne erkennbare Gegenstimme zur Parteilinie gemacht. "Unbestreitbar", heißt es da, sei der Holocaust "Teil der Geschichte". Und dann der Satz: "Ihn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu leugnen oder zu relativieren, widerspricht den Grundsätzen der Partei."
Das sind starke Worte für eine als Neigungsgruppe gestartete Protestpartei, die in ihren Anfangsjahren kein Problem damit hatte, in die Ecke von Kinderschändern gestellt zu werden. Weil die große Koalition der Kinderpornografie im Netz einen Riegel vorschieben wollte, hatte sie beschlossen, den Zugang zu solchen Inhalten zu sperren. Die Piraten sagten diesem Projekt im Namen der Meinungsfreiheit den Kampf an, hängten der dafür verantwortlichen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Namen "Zensursula" an – und wuchsen zu wahrnehmbarer Größe heran. Und nun sprechen sie selbst vom "Deckmantel der Meinungsfreiheit".
Ein erster Hinweis auf eine Zähmung der orangenen Rebellion? Auf eine Ankunft im Parteiensystem? Eine erkennbare Professionalisierung? Der zentrale Punkt des Parteitages in Neumünster, die alljährliche Vorstandswahl, gibt darauf eine zweifache Antwort: Einerseits verweigerten die Piraten ihrem Oberpiraten Sebastian Nerz die Wiederwahl. Mit einem beachtlichen Zwei-Drittel-Ergebnis übergaben sie dem 41-jährigen Regierungsdirektor Bernd Schlömer das Steuerrad – auch mit der klaren Erwartung, dass Schlömer meinungsfester als sein Vorgänger in der Öffentlichkeit auftreten möge.
Gleichzeitig blieben sie aber bei ihrem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber dem "Pressegehampel", der eindeutigen Basis-Orientierung und der Abneigung gegen zu viel Professionalisierung an der Parteispitze. Die kräftezehrenden Posten werden weiterhin nicht bezahlt, und auch ein Unterstützungsgremium für den Vorstand fiel beim Parteitag durch.
"Klar machen zum Ändern", lautet ihr Slogan, aber sich selbst nehmen sie von dem Änderungswillen aus. Jedoch bleibt bei den meisten Positionierungen noch eine Menge Luft. Obwohl nach dem Einzug in die Landesparlamente von Berlin und Saarbrücken und angesichts der sich abzeichnenden Wahlerfolge in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen das Interesse der Wähler an Inhalten wächst, blieben die Piraten bei ihrem Fahrplan, jedes Jahr erst einmal neu über ihren Vorstand entscheiden und erst in einem halben Jahr über die künftige Programmatik verbindlich beraten zu wollen.
Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht in den Piraten eine "interessante Erscheinung", von der aber noch niemand wisse, wie es damit weiter gehe. Auch die SPD empfindet die Piraten nicht nur als negativ. Sie könnten die neuen und besseren Liberalen sein, sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Und Linken-Vize Sahra Wagenknecht träumt sogar schon von einer Zusammenarbeit mit den Piraten im Kampf für soziale Inhalte, zumindest für den Fall, dass sie eine "linke, aufmüpfige, angriffslustige Partei" werden.
Die Grünen bleiben deutlich skeptischer. "Der Parteitag in Neumünster hat die Piraten nicht wählbarer gemacht", gibt Grünen-Innenexperte Jerzy Montag zu Protokoll. Diese Partei segele mit dem Wind öffentlicher Sympathie, "aber ohne Last unter Deck", sprich: ohne politisches Programm. Und einige braune Ratten seien "immer noch an Bord", betonte Montag im Gespräch mit unserer Zeitung. Auch für den Unions-Internetexperten Thomas Jarzombek bleiben die Piraten eine "Black Box". Obwohl sie vollkommen transparent sein wollten, erfahre der Wähler nicht, was er bekomme. Die Basisbeteiligung via Internet sei auch für die anderen Parteien eine empfehlenswerte Methode, um neue Ideen zu bekommen und Sachverstand einzubinden. Doch unentschieden sei noch die Frage, wie verbindlich das Basis-Votum sein solle. Darüber stritten auch die Piraten noch.
Politik verständlich machen – diesem Anspruch kamen die Piraten in Neumünster nur selten nach. Als sie gestern Nachmittag feststellten, dass sie in den Beratungen "derzeit 98 Minuten Verspätung" hätten, hatten sie sogleich wieder Mühe, bei den Anträgen durchzublicken. Kostprobe: "Damit ist der Antrag abgelehnt. Nein? Also bitte noch mal abstimmen. Der Antrag ist also angenommen. Oder? Ja, er ist abgelehnt."
Und alles völlig transparent.
Internet Bilder vom Piraten-Parteitag unter www.rp-online.de/politik