Piraten ohne Konzept

Nach ihrem Berliner Überraschungserfolg stellte die junge Partei ihre Ideen für die Bundespolitik vor. Die Jungpolitiker bekannten sich offen dazu, für wesentliche Politikfelder noch kein Konzept zu haben.

Berlin "Toll", schwärmt Marina Weisband nach dem über einstündigen Auftritt vor der Bundespressekonferenz in Berlin. Die Psychologiestudentin aus Münster ist am Vortag 24 geworden. Aber sie ist nicht Besucher der live übertragenen Pressekonferenz. Sie gehört zu den Hauptpersonen auf dem Podium, die es geschafft haben, so viele Hauptstadtkorrespondenten wie selten in den großen Saal zu locken. Denn Marina Weisband steht für künftigen Einfluss auf die Entwicklung der Republik. Sie ist die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei.

Stabile acht Prozent der Wähler bundesweit haben ihr Umfragen gerade an diesem Morgen bescheinigt. Und das Potenzial reicht doppelt so weit, wie Bundesvorsitzender Sebastian Nerz (28) gleich eingangs zu Protokoll gibt. Vorwiegend junge Leute rennen den Piraten die Türe ein. Auf 13 000 war die Mitgliederzahl binnen zwei Jahren hinaufgeschnellt, jetzt sind es schon fast 14 000. Und täglich werden es mehr, wie Berlins Piraten-Fraktionschef Andreas Baum (33) verkündet.

Die Ansichten und Absichten der Piratenpartei zur Außenpolitik oder zur Währungspolitik oder zur Sozialpolitik oder zur Arbeitsmarktpolitik oder oder oder können es nicht sein, die die Menschen faszinieren. Denn zu allem müssen die drei Repräsentanten an diesem Mittwoch passen. "Wir haben noch keine Lösung", lautet die Standardantwort von Nerz. Habe er denn privat auch keine Meinung dazu? Doch, aber die gebe er nicht preis, weil die Piraten basisdemokratisch seien.

Zu vielem haben die Piraten keine Meinung. Aber sie zeigen schon mal Muskeln. Ob er sich vorstellen könne, nach der Bundestagswahl in Koalitionsverhandlungen einzutreten? "Ja", sagt Nerz. Ja zu Macht und Einfluss, um Deutschland zu verändern. Schließlich verändere das Internet gerade die Gesellschaft, wie es zuvor wohl nur der Buchdruck oder die Industrielle Revolution vermocht habe. Von "kommunikativer Globalisierung" spricht Nerz. Alles müsse schneller werden. Und transparenter. Etwa durch "liquid feedback", eine Software zur politischen Entscheidungsfindung. Das verstehen zwar nur wenige, aber für die Piraten ist die Entscheidungsfindung per Internet ein Muss. In der Zeit, in der die FDP über eine Mitgliederbefragung diskutierte, hätten die Piraten bereits unzählige Positionen per Mitgliederentscheid festgezurrt.

Wo stehen sie denn nun, die Piraten? "Wir sind eine sozialliberale Grundrechtspartei", sagt der Parteichef. Mit ihrer "sozialen Teilhabe" aller Menschen seien sie "vermutlich" eher links. Bei ihrer Bürgerrechtspolitik siedelt Nerz seine Partei "mittig" an. Und dann gebe es noch viele Themen, die in einem Rechts-Links-Schema gar nicht eingeordnet werden könnten. Und vieles ist noch nicht konkret. So arbeiten die "Sozialpiraten" gerade in einem "Real-Life-Treffen" an der Sozialagenda der Partei.

Als Weisband nach dem Frauenanteil befragt wird, reibt sie sich die Hände. "Ja, die Frauenfrage", sagt sie. Echte Gleichberechtigung beginne doch dort, wo das Geschlecht nicht mehr gezählt werde.

Und wie fühlt sich der Bundesvorsitzende im Mittelpunkt des Interesses? Der fragt einfach zurück: Wie sich die Korrespondenten fühlten, wenn ein Politiker ihre Fragen einfach nicht beantworte. "Das hören wir hier öfter, nur anders formuliert", lautet die Reaktion. Die Netzgemeinde ist sehr zufrieden. Ihre Repräsentanten bekommen viel Lob. Aber nicht als Weisband, Nerz und Baum. Hier heißen sie @Afelia, @tirsales und @orka. Ganz transparent, versteht sich.

Internet Porträts der Piraten-Politiker und Bilder der Pressekonferenz unter www.rp-online.de/Politik

(RP/pst)
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