Düsseldorf Piraten finanzieren jetzt den Terror

Düsseldorf · Immer mehr gekaperte Schiffe, verschleppte Seeleute und Lösegeldzahlungen in steigender Millionenhöhe – die Piraterie vor Somalia ist völlig außer Kontrolle geraten. Neueste Hiobsbotschaft: Die Seeräuber teilen ihre Beute mit der Al-Shabab-Miliz. Diese Gruppe gehört zum Terrornetzwerk al Qaida.

Die mutmaßlich größte Flotte der Welt kreuzt zurzeit vor Somalia und dem Golf von Aden. Doch die Lage ist trotz der Kreuzer, Zerstörer und Fregatten aus vielen Nationen ernster denn je: 28 Frachter und Tanker mit rund 600 Besatzungsmitgliedern sind zurzeit in der Gewalt der Seeräuber. Pro Schiff müssen die Reedereien inzwischen im Durchschnitt mindestens fünf Millionen Euro zahlen.

Das ungelöste Piraterie-Problem droht eine neue, noch bedrohlichere Dimension anzunehmen: Erstmals wurden jetzt Verflechtungen mit dem internationalen Terrorismus bekannt. So profitiert seit Kurzem die somalische Al-Shabab-Miliz von den Lösegeldzahlungen. Sie will die Übergangsregierung in Somalia stürzen und hat im Namen des internationalen Terrornetzwerks al Qaida eine neue Front am Horn von Afrika eröffnet. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass die Piraten seit Februar knapp eine Million Euro an diese Terrorgruppe weitergegeben haben.

Möglicherweise handelt es sich um Schutzgeldzahlungen: Al Shabab (Die Jungen), die mächtigste islamistische Miliz in der Region, beherrscht inzwischen angeblich den kompletten Süden Somalias und auch wesentliche Gebiete der autonomen Region Puntland im Nordosten. Damit sind offenbar etliche Seeräuber-Stützpunkte in die Hand der Islamisten geraten.

Die Verbindung von Piraterie und Terrorismus ist einer der größten Alpträume westlicher Sicherheitsexperten. Nach ihren Erkenntnissen hat al Qaida die Zerstörung von Tankern, Ölverladestationen und Förderfeldern zum strategischen Schwerpunkt bis 2012 erklärt. Vor allem Saudi-Arabien soll damit getroffen werden.

Ein Blick auf die Karte verdeutlicht das Problem: Der südliche Teil des Jemen ist bereits weitgehend unbemerkt von den Islamisten infiltriert worden, während sich die westlichen Regierungen auf den Antiterror-Kampf in Afghanistan und Pakistan konzentriert hatten. Auch somalische Al-Shabab-Kampfgruppen sind seit 2010 im Jemen aktiv. Dieses arabische Land und Somalia bilden eine Art Zange am Ende des Roten Meeres und dem Horn von Afrika. Die wichtige Schifffahrtsroute vom Mittelmeer durch den Suez-Kanal könnte unpassierbar werden – mit verheerenden Folgen für den Welthandel: 15 000 Schiffe passieren den Kanal pro Jahr; sie transportieren 14 Prozent der weltweiten Seefracht.

Finanziell können die somalischen Seeräuber, meist große Familienclans mit geschätzt 2000 "Mitarbeitern", aus dem Vollen schöpfen: 9,5 Millionen Euro Lösegeld soll der griechische Supertanker "Irene SL" erbracht haben, der am 7. April freigelassen wurde. Fast zeitgleich wurden ein deutscher und ein thailändischer Frachter zurückgegeben – vermutetes Lösegeld: insgesamt rund zehn Millionen Euro. Am 16. Juni kam der Stückgut-Frachter "Susan K" aus dem ostfriesischen Leer frei. Die Piraten gaben an, vier Millionen Euro kassiert zu haben.

Die Seeräuber können damit ihre Waffen und Ausrüstung stetig modernisieren. So gelten die gepanzerten Schutzräume in Schiffen, in die sich die Besatzung bei einem Angriff flüchten kann, inzwischen nicht mehr als sicher. Die Piraten erweitern auch ihren Radius ständig, unter anderem durch gekaperte Fischtrawler und andere erbeutete hochseetüchtige Schiffe. In einem Seegebiet etwa 22-mal so groß wie Deutschland ist ihre Bekämpfung nahezu unmöglich geworden. Denn die Kriegsschiffe benötigen Stunden bis Tage, um bedrängten Frachtern zur Hilfe zu kommen.

2010 gilt als trauriges Rekordjahr: Nach Angaben der Internationalen Schifffahrtsbehörde wurden vor Somalia 49 Schiffe gekapert, 1181 Seeleute als Geiseln genommen und acht von ihnen ermordet. Die am 14. April von der Behörde veröffentlichte Statistik für das erste Quartal 2011 weist mit 97 einen neuen Rekord an gemeldeten Überfällen vor Somalia aus – fast eine Verdreifachung gegenüber dem ersten Quartal 2010. Sieben Seeleute wurden getötet, 34 erheblich verletzt und etliche gefoltert.

Die Offenlegung der Kontakte zu al Qaida dürfte den Piraten nicht recht sein, zwingt sie doch die westlichen Regierungen zu konsequenterem Handeln. Ohnehin greifen einzelne Nationen wie Indien oder Indonesien schärfer durch und versenken rigoros Piratenboote, auch wenn dabei Geiseln ums Leben kommen. Befreite Schiffe sind häufig mit Einschusslöchern übersät, deutliche Hinweise auf heftige Gefechte.

(RP)
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