Berlin Pflege: Kinder haften für ihre Eltern

Berlin · Der Bundesgerichtshof hat entschieden: Auch wenn Mutter oder Vater schon vor Jahrzehnten den Kontakt zu ihren Kindern abgebrochen haben, müssen diese für sie zahlen, wenn die Eltern mittellos sind.

Söhne und Töchter müssen grundsätzlich für ihre pflegebedürftigen Eltern aufkommen, wenn diese selbst nicht genug Geld zur Verfügung haben, die Kinder aber gut gestellt sind. Dies gilt auch für den Fall, dass die Eltern selbst vor Jahrzehnten den Kontakt zum Nachwuchs abgebrochen haben.

Der Bundesgerichtshof (BGH) gab einer Kommune Recht, die 9022 Euro für die Heimkosten des mittlerweile gestorbenen Vaters eines Bremer Bürgers forderte. In dem Fall hatte der Vater nach dem Abitur seines Sohnes und der Scheidung von seiner Frau im Jahr 1971 den Kontakt abgebrochen. Im Testament gestand er dem Sohn nur den "strengsten Pflichtteil" zu. Als Erbin sah er seine neue Lebensgefährtin vor.

Als die Kommune mit den Forderungen auf den Sohn zukam, verweigerte dieser die Zahlungen. Er argumentierte, der Kontaktabbruch sei als "schwere Verfehlung" anzusehen, so dass der Vater seinen Elternunterhaltsanspruch verwirkt habe. Zumal sich der Sohn mehrfach darum bemüht hatte, wieder Kontakt zu seinem Vater zu bekommen.

Ein Kontaktabbruch reicht nach Ansicht des BGH aber nicht aus, um den Anspruch der Eltern auf Unterhalt zu verwirken. Die Richter machten auch geltend, dass der Vater sich bis zum 18. Geburtstag des Sohnes um diesen gekümmert habe. Damit habe er seinen Elternpflichten "im Wesentlichen genügt".

Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn begrüßte das Urteil. "Die gegenseitige Verpflichtung von Eltern und Kindern, füreinander auch finanziell einzustehen, wenn man als junger Mensch oder als Pflegebedürftiger nicht für sich alleine sorgen kann, ist grundsätzlich richtig", sagte Spahn. "Familie ist man halt ein Leben lang." Der Unionspolitiker verwies darauf, dass die Freigrenzen so hoch seien, "dass man schon ziemlich gut verdienen muss, um überhaupt herangezogen zu werden". Die SPD-Pflegeexpertin Hilde Mattheis betonte, dass der gegenseitige Beistand von Kindern und Eltern gelten müsse. Dieser sei maßgeblich auch für solche Urteile, auch wenn es im Einzelfall "schon bitter" sei.

Experten gehen davon aus, dass Fälle wie der des Bremers mit der steigenden Zahl von Pflegebedürftigen und mit sinkenden Renten in Deutschland zunehmen werden. "In der Zukunft werden solche Fragen eine immer größere Bedeutung bekommen", sagte der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. "Denn Pflege macht arm, selbst wenn man vorher reich war."

Wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, wächst die Zahl der Pflegebedürftigen, die ihre Versorgung nicht mehr aus eigener Tasche bezahlen können, stetig an. So mussten im Jahr 2012 rund 439 000 Pflegebedürftige "Hilfe zur Pflege" in Anspruch nehmen. Unter den Heimbewohnern sind es rund 40 Prozent, die ihre Versorgung nicht aus eigener Kraft zahlen können. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl um 3,8 Prozent gestiegen. Die Hilfen summieren sich im Jahr auf mittlerweile 3,2 Milliarden Euro, nur 64 Millionen davon werden privat, beispielsweise von Kindern der Pflegebedürftigen, aufgebracht. Den Rest müssen die Kommunen zahlen.

Zwei Drittel der Hilfeempfänger waren der Statistik zufolge Frauen mit einem Durchschnittsalter von 79 Jahren. Männer, die die staatliche Unterstützung erhielten, waren im Mittel 68 Jahre alt.

Die Pflegeversicherung deckt längst nicht alle Risiken ab. Sie ist nur eine Teilkasko-Versicherung. Die Pflegesätze sind nur Zuschüsse zur Versorgung Pflegebedürftiger.

(qua)
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