Düsseldorf Tod eines Welt-Reporters

Düsseldorf · Am Wochenende ist der Journalist und Buchautor Peter Scholl-Latour gestorben. Er erklärte den Deutschen die islamische Welt.

Reaktionen auf den Tod von Peter Scholl-Latour
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Foto: ap

Ein Schreibtisch in einem modern und aseptisch wirkenden Büro war nie seine Welt, auch wenn er mal kurzzeitig journalistische Verwaltungsaufgaben übernommen hatte. Sie waren eher Sackgassen in einem rastlosen Reporterleben, dem sich Peter Scholl-Latour verschrieben hatte. Der Drang in die Ferne an Orte der Gefahr und auch des persönlichen Risikos hielten ihn bis ins hohe Alter auf Trab. Die Welt war für ihn ein einziges Abenteuer voll von strotzenden Herausforderungen, Gefahren, aber auch voller Schönheit. Der Journalismus war für ihn kein gewöhnlicher Beruf, er lebte und liebte ihn als Lebensform.

Wer so denkt, konsumiert die Vielfalt der Welt nicht wie ein Brötchen im Schnellimbiss: Er vertieft sich in ihre Geheimnisse und will sie lüften. Er will andere teilhaben lassen an dem, was er sieht, hört und erfährt. Er liefert spannende Reportagen und Berichte, er schreibt Bücher, hält Vorträge und bereichert Gesprächsrunden, und er erklärt den Deutschen die Welt. Der Zugvogel Peter Scholl-Latour war am Ende seines Lebens ein Leitfossil für guten Journalismus. Nun ist er am Samstag im Alter von 90 Jahren in Rhöndorf am Rhein in der Nähe von Bonn gestorben.

Im Frühjahr hatte er noch Ost-Timor besucht, den Inselstaat in Südostasien, der 2002 von Indonesien unabhängig geworden war. Daheim schrieb er an seinen Memoiren, die posthum erscheinen werden. Krisen- und Kriegsgebiete zogen ihn magisch an. Wo Menschen sich aus den unterschiedlichsten Gründen an die Gurgel gingen, kreuzte Scholl-Latour auf, um die Geschichte hinter dem Geschehen zu erzählen. Wie kam es dazu, wie geht es weiter und wo wird es enden? Vor wenigen Monaten hatte ihn der Auswärtige Ausschuss des Bundestages zu einer Einschätzung der Lage in Afghanistan gebeten. Sein Fazit: Der Krieg im Land am Hindukusch sei verloren. Die Vorstellung des Westens, man könne nach Abzug der Schutztruppen mit einem kleinen Restkontingent die afghanische Armee ausbilden, sei illusorisch. Was bleibt? "Wir sollten uns überlegen, wie wir da rauskommen." Warum? Mit nuschelnder, leicht krächzender Stimme und kalkulierten Kunstpausen sagt er, viele in der Armee seien gesinnungslose Tagelöhner. Er würde nicht mehr ohne Schutz außerhalb Kabuls umherfahren.

Wie wird man zum Welterklärer der Deutschen? Peter Scholl-Latour wurde am 9. März 1924 in Bochum geboren. Er war der Sohn eines aus dem Saarland stammenden und in Lothringen aufgewachsenen Arztes. Scholl-Latours Mutter kam aus dem Elsass. Sie war getaufte Christin mit jüdischen Vorfahren. Die Familie war im Dritten Reich NS-Verfolgungen ausgesetzt, über die er kaum sprechen wollte. Er selbst wurde von der Gestapo aufgegriffen, gar gefoltert. Er sagt, die Erfahrungen in den Kerkern der Gestapo hätten ihn gestärkt. Details behält er für sich.

1945/46 meldet er sich zu der französischen Fallschirmjägereinheit Commando Ponchardier. Sie wurde in der von Japan zurückgegebenen Kolonie Indonesien eingesetzt. Scholl-Latour, der den deutschen und den französischen Pass besaß, begann 1948 ein Studium in Mainz, ging nach Paris an die Sorbonne, studierte Philologie und Politikwissenschaft und schloss es 1954 mit der Promotion ab. Dann zog es ihn in den Libanon. In Beirut studierte er von 1956 bis 1958 Arabistik und Islamkunde.

1948 hatte er ein Volontariat bei der "Saarbrücker Zeitung" begonnen. Schon während seiner Pariser Studienzeit veröffentlichte er in Frankreichs größter Tageszeitung "Le Monde" einen Bericht über die sowjetische Besatzungszone. Mitte der 50er Jahre war er kurz Pressesprecher im Saarland. 1960 wechselte er zum Fernsehen. Seitdem gab es keinen Krisen- oder Kriegsherd von Indochina über Nordafrika bis in den Kongo, an dem Scholl-Latour nicht auftauchte.

1963 gründete er das ARD-Studio in Paris. Der de-Gaulle-Bewunderer sprach fließend französisch, kam bei den jungen Pariserinnen gut an. Kollegen verpassten ihm nicht ohne Neid den Spitznamen "Scholl-L'amour". 1969 folgte ein kurzes Gastspiel als Fernsehdirektor beim WDR. 1971 wurde er dann Chefkorrespondent des ZDF, später leitete er das Pariser Büro. Von Paris aus reiste er regelmäßig nach Vietnam und berichtete über den Krieg, den sich die USA anschickten, zu verlieren. 1973 nahmen ihn bei einer Reportage aus dem Dschungel Vietcong-Untergrundkämpfer gefangen. Nach einer Woche ließen sie ihn und sein Team frei. Spätestens seitdem war der Name Scholl-Latour in Deutschland Synonym für Unerschrockenheit und Kühnheit. Als Reporter bereiste er Kambodscha, China und Afghanistan. Er suchte immer den Kontakt zu den Menschen, zu den Machthabern oder deren Opfern. Er schilderte die Hintergründe von blutigen Machtkämpfen und politischen Intrigen. Er wollte sich aus erster Hand informieren und die Zuschauer im Fernsehen an seinen Eindrücken teilhaben lassen.

1979 war Peter Scholl-Latour einer der Journalisten, die den iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini aus dessen Exil in Paris in den Iran begleiteten. Während des Fluges wurde ihm von einem Khomeini-Vertrauten eine Mappe mit Schriftstücken übergeben. Scholl-Latour solle sie behalten, falls Khomeini nach der Landung verhaftet werden sollte, was aber nicht geschah. Später stellte sicher heraus, dass Scholl-Latour die neue Verfassung für den Islamischen Staat in seiner Obhut gehabt hatte.

Mehr als 30 Bücher hat er geschrieben und dabei eine trockene Sprache vermieden. Er wollte gelesen und nicht bei geringer Auflage in Archiven abgelegt werden. Viele seiner Bücher wurden Bestseller. Sein Buch "Der Tod im Reisfeld" (1979) arbeitet seine Indochina-Erlebnisse auf. Es wurde bisher 1,3 Millionen mal verkauft. In seinem Buch "Allah ist mit den Standhaften" (1983) warnte Scholl-Latour vor der wachsenden Bedeutung der Religion für die Politik in den islamischen Staaten. Bis heute ist das ein aktuelles Thema geblieben.

Seine Analysen über den Islam, den politischen Islamismus und Terrorismus und die islamische Welt machten ihn zum gesuchten Gesprächspartner. Kritiker werfen ihm vor, die nicht selten komplizierte Sachlage der islamischen Welt zu vereinfachen und Sachargumente mit Meinung und persönlichen Erfahrungen zu überlagern. In den 90er Jahren wurde ein Forschungsprogramm an dem Orientalistischen Institut der Universität Hamburg aufgelegt, bei dem auch Scholl-Latours Schriften und Beiträge untersucht wurden. Das Fazit: Er verzerre die Wirklichkeit und schüre Angst und Fremdenfeindlichkeit. Doch Scholl-Latour ließ sich davon nicht beirren. Sein jüngstes Buch "Der Fluch der bösen Tat. Das Scheitern des Westens im Orient" erscheint im September.

(RP)
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