Gysi will abtreten PDS in schwerer Krise

Münster (AP). Nach einer Abstimmungsniederlage des Reformerflügels auf dem Bundesparteitag der PDS in Münster will der Spitzenpolitiker Gregor Gysi im Herbst nicht wieder für das Amt des Fraktionsvorsiztenden im Bundestag kandidieren. Dies verlautete am Samstagabend aus Parteikreisen. Es fänden aber noch "jede Menge Gespräche" statt, um Gysi umzustimmen. Gysi wollte sich am Sonntag in einer Rede an die Delegierten wenden.

Die Krise war ausgelöst worden, als die Delegierten mit überraschend deutlicher Mehrheit einen Antrag des Bundesvorstandes ablehnten, militärische UN-Einsätze unter Umständen zu billigen. Stattdessen wurde mit Unterstützung der Kommunisten ein Gegenantrag verabschiedet, in dem die SED-Nachfolgepartei ihre radikalpazifistische Grundhaltung betont.

Bei Gysis Rede am Sonntag wurde auch eine Erklärung zu seiner politischen Zukunft erwartet. Am Samstag ließ er es auf Nachfrage von Journalisten offen, ob er im Herbst erneut für den Fraktionsvorsitz kandidiert. Dies sei kein Thema des Münsteraner Parteitags, sagte Gysi.

Der Bundesvorstand diskutierte in einer Sondersitzung den geschlossenen Rücktritt, verwarf diese Idee aber. Führende Mitglieder des Reformerflügels, darunter Gysi und Parteichef Lothar Bisky, räumten die Niederlage ein, wollen das Votum jedoch respektieren. Biskys Sprecher Hanno Harnisch sagte, mit dem Beschluss habe die Partei "ein Stück Politikunfähigkeit" gezeigt.

Für den Antrag des Vorstandes stimmten 126, für den Alternativvorschlag der stellvertretenden Bundesvorsitzenden Sylvia-Yvonne Kaufmann 219 Delegierte. Gysi konnte der Niederlage auch Positives abgewinnen. Es sei gut, dass die Basis selbstbewusst und eigenständig auch gegen die Führung stimme. Dies habe die SED nie getan.

Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch und die Berliner PDS-Chefin Petra Pau sagten, das Votum habe Einfluss auf ihre Entscheidung, ob sie als Nachfolger von Bisky kandidieren würden. Bartsch und Pau sind die zwei Wunschkandidaten Biskys, der den Vorsitz niederlegen will. So gut wie sicher ist inzwischen, dass der für Januar geplante Wahl-Parteitag auf September oder Oktober vorgezogen wird.

Modrows Kompromissversuch

Der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow versuchte, die verfahrene Situation mit einem Kompromiss zu retten. Der Parteitag folgte Modrows Vorschlag, in den siegreichen Gegenantrag den Satz einzufügen: "Die von den Vereinten Nationen ergriffenen Maßnahmen wird die PDS entsprechend ihrer Grundsätze in jedem Fall prüfen." Harnisch sagte allerdings: "Es wäre unseriös, die Niederlage als Erfolg zu verkaufen." Auch Gysi sagte, der Kompromiss sei kein Trost.

Der Bundesvorstand hatte für UN-Militäreinsätze plädiert, wenn es um Völkermord geht und alle zivile Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Eine Beteiligung der Bundeswehr wurde generell abgelehnt. In der Debatte kam es zu scharfen Wortgefechten. "Ich will nicht, dass am Montag in der Zeitung steht, die PDS habe in Münster eine Kurskorrektur vollzogen und sich für so genannte humanitäre Interventionen mit UN-Mandat entschieden", sagte Kaufmann unter Tränen.

Die PDS lässt sich bei der Überarbeitung ihrer politischen Leitlinien mehr Zeit als bisher geplant. Der Parteitag verlängerte die Zeitschiene. In Frage gestellt ist nun, ob das Programm noch vor der Bundestagswahl 2002 verabschiedet wird, wie es sich die PDS ursprünglich vorgenommen hatte.

(RPO Archiv)
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