Kairo Panzer vor Präsidentenpalast in Kairo
Kairo · Nach einer Nacht der Gewalt mit fünf Toten und mehr als 600 Verletzten tritt das Militär in Aktion. Neue Proteste sind geplant.
Mit massiver Gewalt ist das Fußvolk der Muslimbrüder gegen die Demonstranten auf den Straßen von Ägyptens Hauptstadt Kairo vorgegangen. "Wir verteidigen den demokratisch legitimierten Präsidenten", skandierten die Anhänger von Präsident Mohammed Mursi in der Nacht zu gestern. Mursi steht den Muslimbrüdern sehr nahe. Wann immer sie einen ihrer Gegner in die Finger bekamen, schlugen Dutzende Männer auf den Gefassten ein, bis er am Boden lag und sich nicht mehr bewegte. Dazu rief die Menge "Verräter" und "Wer hat dich bezahlt?" Ein Mann präsentierte die Geldwechsel-Quittung einer Bank, den er bei einem der Anti-Mursi-Demonstranten gefunden hatte – für ihn ein Beleg dafür, dass die Demonstranten vom Ausland finanziert sind.
Dabei wirkte insbesondere das Aufgebot der Mursi-Anhänger organisiert. Viele von ihnen stammten aus den Armenvierteln oder der Umgebung Kairos. "Man hat mich hierher geschickt und mir gesagt, ich solle warme Kleidung mitbringen, weil ich hier übernachten soll", beschrieb einer seinen Auftrag. Auffällig waren auch die Herren in Anzügen, die die Menge im Hintergrund dirigierten.
Am Ende einer langen Nacht der Gewalt waren fünf Tote und Hunderte Verletzte zu beklagen. Die ägyptischen Streitkräfte reagierten gestern und ließen Panzer vor dem Präsidentenpalast auffahren. Die sechs Kampf- und zwei Schützenpanzer gehören zur Republikanischen Garde, einer Eliteeinheit, die für den Schutz des Präsidenten zuständig ist. Einschüchtern ließen sich die Mursi-Gegner davon allerdings nicht: Demonstranten beschimpften die Soldaten auf den Panzern als "Verräter" und zogen nachmittags wieder auf dem Tahrir-Platz auf. Der Kommandeur der Garde, Generalmajor Mohammed Saki, versicherte indes, dass seine Truppen im Machtkampf keine Partei ergreifen würden. "Das soll kein Mittel sein, um Demonstrationen niederzuschlagen", zitierte ihn die amtliche Nachrichtenagentur Mena. "Gegen Ägypter wird keine Gewalt angewandt." Für gestern Nachmittag wurde eine Ausgangssperre rund um den Palast ausgerufen. Der Murshid, das Oberhaupt der Muslimbrüder, Muhammad Badie, rief die Muslimbrüder auf, wieder nach Hause zugehen. Schnell leerten sich die Straßen vor dem Palast.
Die Ereignisse werfen zwei Fragen auf: Warum hat die Präsidentengarde nicht schon in der Nacht Panzer auffahren lassen, um die Straßenkämpfe zu beenden? Und wenn der Murshid seine Anhänger derart steuern kann, trägt er dann nicht die Verantwortung für die Eskalation?
Im Hintergrund werden unterdessen die politischen Möglichkeiten ausgelotet. Vizepräsident Mahmud Mekki ging mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit, einige der umstrittenen Paragrafen im maßgeblich von den Islamisten erarbeiteten Verfassungsentwurf bei der ersten Parlamentssitzung zu streichen. Laut Fahrplan soll zwei Monate nach dem Inkrafttreten der Verfassung ein Parlament gewählt werden. Die Opposition verlangt, dass Mursi seine Machtbefugnisse wieder beschränkt und der Verfassungsentwurf für ungültig erklärt wird. Stattdessen solle eine repräsentativere verfassungsgebende Versammlung einen neuen Entwurf ausarbeiten. Der Chef der islamischen Al-Azhar-Universität, Scheich Ahmad el Tayyeb, fordert vom Präsidenten, sein Verfassungsdekret einzufrieren.
Mehrere Berater des Präsidenten, der Chef des staatlichen Fernsehens und Zaghloul el Balshi, der Mann, der eigentlich das Verfassungsreferendum organisieren sollte, traten in der Nacht zurück. Am Nachmittag traf sich der Präsident mit seinem Kabinett und dem Armeechef, um Maßnahmen zur Stabilisierung zu erörtern. Für heute haben aber beide Seiten neue Massendemonstration in Kairo angekündigt.