Wer wusste wann was im Fall Edathy? Opposition sieht im Fall Edathy Vertuschungen

Berlin · Die Befragung im Bundestag fördert neue Details zutage: Das BKA bekam einen Hinweis auf eine prominente Verwicklung aus Nienburg.

Führende Koalitionsabgeordnete sehen sich in der Edathy-Affäre zu ungewöhnlichen Formulierungen gezwungen. Äußern sie gewöhnlich Stolz und Freude über die Regierungspolitik, stieg Chef-Innenpolitiker Stephan Mayer (CSU) am Mittwoch in die Materie mit den Worten ein, das sei alles "nicht schön", und bislang gebe es "nur Verlierer".

Das zeigt, wie tief der Ministerrücktritt, die Vorwürfe von Geheimnisverrat und anderen rechtsstaatlich bedenklichen Vorgängen das Regierungsbündnis getroffen haben. Doch der gestrige Großkampftag der Aufklärer stand im Zeichen des Willens, die klebrige Angelegenheit irgendwie zügig vom Tisch zu bekommen.

So taten sich denn schnell zwei Bühnen auf: die große der Hauptakteure, auf der sich die drei Parteichefs auf neues gegenseitiges Vertrauen einschworen und das im Kanzleramt am Dienstagabend über mehrere Stunden Besprochene konsequent unter Verschluss hielten. Und die kleine der Aufklärer. Das war gestern von morgens um zehn bis in den späten Abend der Innenausschuss, der die prominentesten Beteiligten über viele Stunden einvernahm.

Eine Aktuelle Stunde zum selben Thema im Plenum des Bundestages unterbrach die Arbeit der Ausschuss-Aufklärer — und vermittelte Erhellendes: Koalition und Opposition sind gewillt, jeden Stein umzudrehen, um alle Details der Vorgänge transparent zu machen — Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen. Doch gleichzeitig will Schwarz-Rot alle anderen Projekte darunter nicht leiden lassen. "Wir — CDU, CSU und SPD — werden uns wegen dieser Sache nicht entzweien." So brachte es SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka auf den Punkt.

"Diese Sache" liefert indes für die Opposition noch viel Stoff, etwa für "Vertuschungsszenarien", wie sie Dietmar Bartsch von den Linken beschwört, oder den "Vorwurf der Kumpanei", wie ihn Konstantin von Notz von den Grünen erhebt. Und mit jeder geklärten Einzelheit stellen sich neue Fragen, müssen Darstellungen neu geschrieben werden. So verteilte nicht das BKA die Information über Edathy als Kunden eines kanadischen Kinderpornorings bundesweit an die Landeskriminalämter. Sondern erst die örtliche Polizei in Nienburg stolperte über Edathys Namen auf einer Liste mit 800 Verdächtigen, meldete dies ans BKA, woraufhin BKA-Chef Jörg Ziercke in Berlin Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche informierte. Ziercke war "wirklich sehr überrascht", wie er gestern berichtete, dass schon einen Tag später SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann deswegen bei ihm anrief. Inzwischen hatte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den SPD-Chef Sigmar Gabriel ins Vertrauen gezogen — und der sowohl Oppermann als auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier informiert. Deswegen bewegte die Kanzlerin den jetzigen Landwirtschaftsminister Friedrich vergangenen Freitag zum Rücktritt.

Wie aber ist Oppermanns Vorgehen zu würdigen? Harmlose Plauderei oder versuchte Anstiftung zum Geheimnisverrat? Zumal Oppermann zunächst erklärt hat, er habe sich den Vorwurf gegen Edathy vom BKA-Chef "bestätigen" lassen. Ziercke nimmt den Parteifreund in Schutz. Er selbst habe die Aussagen weder dementiert noch kommentiert und sich von Oppermann auch nicht gedrängt gefühlt.

Im Ausschuss folgt am Abend die große Arie der Reue. Oppermann bedauert den Rücktritt Friedrichs, Gabriel unterstreicht, wie dankbar die SPD Friedrich ist, auch Steinmeier zeigt sich zerknirscht. Die Opposition hakt eher dezent nach. Die Union ist (noch) nicht restlos überzeugt. Dennoch steht am Ende des langen Tages der Eindruck, dass die große Bühne der Koalitionsarbeit begonnen hat, die kleine der Aufklärung zu überlagern.

(rl, may-)
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