Washington Obamas zwiespältige Irak-Bilanz

Washington · Die Amerikaner ziehen bis zum Jahresende ihre letzten Kampftruppen aus dem Zweistromland ab. Vor heimgekehrten Soldaten meinte Präsident Obama, die US-Truppen hinterließen zwar kein perfektes Land, aber eine "stabile Nation".

Kein Wort der Kritik, kein Seitenhieb auf seinen Vorgänger George W. Bush, stattdessen nur versöhnliche Töne. US-Präsident Barack Obama hat den Abzug amerikanischer Truppen aus dem Irak zum Anlass genommen, um den Brückenschlag über Parteigräben hinweg zu beschwören. Obama, dessen Frau Michelle die Rede von einem Platz neben dem Rednerpult verfolgte, begrüßte Soldaten, die aus dem Einsatz aus dem Irak zurückkehrten, und hob hervor, der Krieg gehe nicht mit einer "letzten Schlacht, sondern mit einem letzten Marsch nach Hause" zu Ende.

Ja, die Diskussion über den Sinn des Krieges sei überaus heftig gewesen, sagte er gestern vor heimgekehrten Soldaten in Fort Bragg, einem der größten Militärstützpunkte der Vereinigten Staaten. Eine Zeit lang habe der Streit die Nation in zwei Lager getrennt. "Aber auf beiden Seiten waren es Patrioten, die da debattierten." Und der Patriotismus der Armee habe bei alledem die große Konstante gebildet. Die Kongressabgeordneten in Washington, die sich scheinbar auf nichts mehr einigen könnten, sollten sich daran ein Beispiel nehmen.

Fast neun Jahre sind vergangen, seit die ersten US-Einheiten im Zweistromland einmarschierten. Obama, damals ein unbekannter Provinzsenator in Illinois, hatte zu den wenigen amerikanischen Politikern gehört, die sich öffentlich gegen die Invasion stellten. Ein "dummer Krieg" sei das, warnte er, als sich abzeichnete, dass Bush die GIs in Marsch setzen würde. Eine falsche Weichenstellung, die nur wegführe vom richtigen Einsatz, dem in Afghanistan. Nun legt er Wert darauf, die Kontroverse vergessen zu lassen. Mit staatsmännisch-ernster Miene zitiert er den Bürgermeister von Fayetteville, einer eher konservativ gesinnten Garnisonsstadt, die direkt an das Riesenareal von Fort Bragg grenzt: "Krieg ist hier kein politisches Wort. Krieg ist, wohin unsere Freunde und Nachbarn gehen."

Von einem historischen Moment spricht Obama und lobt eine Armee, die mit erhobenem Haupt den Rückzug antrete. Zurück bleibe ein souveräner Irak, der zwar nicht perfekt sei, dessen Regierung aber mittlerweile vom Volk gewählt werde. Nüchtern erinnert er an nahezu 4500 gefallene Amerikaner und über 30 000 Verletzte.

"Und das sind nur die Wunden, die man sehen kann", sagt er unter Anspielung auf Zehntausende ausgemusterte Soldaten, die an posttraumatischem Stress leiden, sich im Zivilleben nicht mehr zurechtfinden und sich im Extremfall das Leben nehmen.

Elf Prozent der Kriegsveteranen sind arbeitslos, eine Zahl deutlich über dem Durchschnitt. Obama stellt Hilfe in Aussicht: Der Privatsektor habe sich verpflichtet, 100 000 Jobs für entlassene GIs zu schaffen. Steuervergünstigungen hätten zusätzliche Anreize geschaffen.

Das Präsidentschaftsduell im kommenden Jahr wirft trotz dieser betonten Nüchternheit seine Schatten voraus – auch beim Thema Irak. Mitt Romney, bei den Republikanern einer der aussichtsreichsten Anwärter aufs Weiße Haus, malt das Bild eines Präsidenten, der wahltaktische Erwägungen über strategische Konzepte stelle, indem er die Streitkräfte überhastet nach Hause beordere.

John McCain, 2008 Obamas Widersacher im Ringen ums Oval Office, sieht leichtfertig aufs Spiel gesetzt, was unter großen Opfern an Fortschritten erreicht worden sei. Der vorschnelle Rückzug gefährde Amerikas Sicherheitsinteressen in Nahost ebenso wie das zarte Pflänzchen der irakischen Demokratie. "Ich hoffe, dass ich mich irre. Aber ich fürchte, dass ich recht habe", sagte der Senator.

Tatsächlich war es noch Bush, der sich mit Bagdad auf einen Abzugstermin Ende 2011 verständigte. Allerdings sollten nach dem ursprünglichen Plan einige Tausend US-Militärs über diese Frist hinaus im Land bleiben, um die irakische Armee auszubilden. Washington beharrte darauf, dass die Uniformierten rechtliche Immunität genießen, statt irakischer Gerichtsbarkeit unterworfen zu werden. Das irakische Parlament lehnte das Ansinnen ab, womit es die Amerikaner de facto zum vollständigen Abzug drängte.

(RP)
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